Politische Sprecherin des BesD im Gespräch: Fragen und Antworten zur Prostitution in Deutschland

Was fordert der BesD, um die Situation von Sexarbeitenden zu verbessern? Wieviel Sexarbeiter*innen gibt es überhaupt hier in Deutschland? Wie lassen sich Sexarbeit und Zwangsprostitution unterscheiden? Wie bewertet der BesD den Vorschlag, Sexarbeit generell zu verbieten? Was würde sich dann für Sexarbeiter*innen ändern?

Diese und ähnliche Fragen werden regelmäßig von Medienvertreter*innen an unseren Verband herangetragen. In diesem Blogbeitrag liest Du die Antworten unserer politischen Sprecherin Johanna Weber (mit zum Teil persönlichen Einschätzungen) auf zwei aktuelle entsprechende Anfragen.


Die Koalition ist fast zwei Jahre im Amt. Was sind Ihre Forderungen an die Regierung für die restliche Legislaturperiode? Gab es Dinge, die aus der Perspektive der Sexarbeiter*innen gut liefen? Was lief schlecht?

Der Berufsverband der Sexarbeitenden begrüßt den sachlichen Umgang des Familienministeriums mit unserem sehr emotionsgeladenen Themenbereich. Mit Bewertungen wird gewartet – auf die Ergebnisse der sehr umfangreichen Evaluation des ProstSchG.

Wir schlagen vor, dass sich ein Expert*innen-Gremium mit den Ergebnissen der Evaluation beschäftigen soll – losgelöst von den hitzigen Debatten.

Nur ein neutrales und mit allen Stimmen besetztes Gremium wird sinnvolle Lösungsvorschläge zum Umbau des ProstSchG und zum zukünftigen Umgang mit der Sexarbeit in Deutschland erarbeiten.

Die Ergebnisse sollen dem Familienausschuss als Arbeitsgrundlage dienen, wie es bei anderen Gesetzen durchaus auch gemacht wird. Wir halten es für unabdingbar, dass noch in dieser Legislaturperiode über die Einrichtung und die Zusammensetzung des Expert*innen-Gremiums beschlossen wird.

Bezogen auf Prostitutionsstätten sehen wir dringenden Handlungsbedarf.

Es handelt sich dabei um unsere Arbeitsplätze, welche größtenteils diskret als sogenanntes „stilles Gewerbe“ von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden. Durch Corona gab es viele Schließungen. Neueröffnungen sind extrem selten, denn Sperrgebietsverordnungen und Flächennutzungspläne verhindern in den meisten Teilen der Städte und Gemeinden die Zulassung von Prostitutionsstätten. Dies führt zu einer Verlagerung in nicht angemeldete Wohnungsbordelle.

Wir wünschen uns von der Bundesebene Impulse an die Bundesländer zu pragmatischen Lösungen.

Z.B. dass sie bei der Anmeldung von Prostitutionsstätten Einzelfallprüfungen vornehmen. Ebenso wünschen wir uns Impulse an die Bundesländer bezogen auf die Lockerung von Sperrgebieten. Geschlossene Sperrgebiete, in denen jegliche Art von Prostitution verboten ist, führen zu mehr Illegalität.

Im ersten Schritt sollten Prostitutionsstätten zugelassen werden, die ohne sogenannte „störende Umgebungseinflüsse“ sind. Hier sprechen wir vom oben schon genannten „stillen Gewerbe“, welches geschätzte 80% der Sexarbeit ausmacht.

Wie bewerten Sie den Vorschlag, Sexarbeit generell zu verbieten?

Die Sexarbeit komplett zu verbieten ist aktuell nicht im Gespräch. Bei der Diskussion um Verbote geht es derzeit um das sogenannte „nordische Modell“, welches eine einseitige Strafbarkeit vorsieht. Sexarbeitende dürfen ihre Tätigkeit legal anbieten, aber die Kunden machen sich strafbar.

Ebenso ist jegliche Art von Unterstützung der Prostitution verboten – dabei geht es nicht nur darum, dass Bordelle und sonstige Prostitutionsstätten verboten sind, sondern auch Vermittlungen wie Escort-Services und Werbeportale – aber auch das Vermieten von ganz normalen Wohnungen an Sexarbeitende (sie könnten ja dort der Sexarbeit nachgehen), Fahrservice, Sicherheitsdienste, Bankkonten…

Wir als Berufsverband für Sexarbeitende lehnen das nordische Modell ab.

Dann wären die sicheren Arbeitsplätze weg, denn es gibt keine Bordelle mehr und Sexarbeitende dürfen sich auch nicht zu zweit zusammentun und sich eine Arbeitswohnung teilen. 

Da die Kunden sich strafbar machen verringert sich die Nachfrage.

Übrig bleiben in erster Linie diejenigen, die es mit Recht und Ordnung nicht so genau nehmen. Das sind die Kunden, die wir Sexarbeitende eigentlich nicht so gerne mögen. Um überhaupt noch Kunden zu haben, müssen Sexarbeitende sich verstecken, damit die Kunden nicht von der Polizei entdeckt werden. In Schweden überwacht die Polizei die Telefone der Sexarbeitenden, um an deren Kunden zu gelangen.

Tragfähige Umstiegskonzepte für Sexarbeitende würden Millionen kosten, und sind nur im geringen Ausmaß vorhanden. Somit bleiben genau die Menschen in der Sexarbeit, die eigentlich durch das nordische Modell „gerettet“ werden sollen. Es ist ein Verbleiben unter erschwerten Bedingungen.

Wir fordern, dass bei allen Maßnahmen beide Seiten der Sexarbeit berücksichtigt werden.

Zum einen geht es uns um den Ausbau von sinnvollen Umstiegsangeboten und von aufsuchender Beratung. Ebenso fordern wir aber Professionalisierungs-Maßnahmen in Form von Fortbildungen und berufsbezogene Einstiegsbegleitung – weiterhin die Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Abschaffung der Sperrbezirke und des Hurenausweises.

Manche Prostitutions-Gegnerinnen sprechen von einem „asymmetrischen“ Verhältnis zwischen zahlendem Kunden und Sexarbeiter*in. Ist da etwas Wahres dran?

In allen Dienstleistungsberufen stehen die Wünsche und Vorstellungen der Kund*innen im Vordergrund. Ein Koch in einem Restaurant kocht üblicherweise das Essen, welches die Gäste bestellt haben. Im besten Fall hat er Einfluss auf die Angebote in der Speisekarte.

In der Sexarbeit ist es besonders wichtig, dass die Kundenwünsche, die den eigenen Vorlieben nicht entsprechen, abgelehnt werden können.

Dazu bedarf es finanzieller Unabhängigkeit. Hier sind nicht nur Abhängigkeitsverhältnisse zu Partnern, Familie oder sonstigen Personen gemeint, sondern auch ein solides finanzielles Polster, was es überhaupt möglich macht, Kundenanfragen abzulehnen.

Was ist dran an der Behauptung, es gebe zu viel Zwangsprostitution in Deutschland?

Es gibt keine Nachweise, dass es in Deutschland mehr Zwangsprostitution gibt als in anderen Ländern.

Die einzigen wissenschaftlich haltbaren Zahlen finden sich im Lagebild Menschenhandel des BKA. Diese Zahlen sind für die Prostitution seit Jahren rückläufig.

Frau Breymaier sieht allerdings schon die reine Notwendigkeit zum Geldverdienen als Zwang an, sofern es sich bei der Tätigkeit um Prostitution handelt. Geldnot ist ein häufiges Einstiegskriterium in die Sexarbeit, muss aber nicht zwangsläufig negativ verlaufen. Viele sehen Sexarbeit als eine Möglichkeit in relativ kurzer Zeit relativ viel Geld zu verdienen.

Wie könnte man freiwillige Sexarbeit und Zwangsprostitution besser unterschieden – geschieht da genug von Seiten der Polizei und Justiz?

Die eindeutigen Straftatbestände des Menschenhandels trifft man nur selten an.

Oft handelt es sich um Ausbeutung oder Abhängigkeitszustände, welche kaum von außen einzuschätzen sind.

Betroffene selber sehen sich oft nicht als Opfer und benötigen Jahre, um sich der Situation klar zu werden und sich lösen zu wollen. Hier ist dann nicht Polizei wichtig, sondern Vertrauenspersonen, wie Beratungsstellen mit aufsuchender Beratung.

Was würde in Deutschland geschehen, wenn Sexarbeit verboten wird?

Corona hat gezeigt, wohin Verbote von Sexarbeit führen: Verschiebung aus den Prostitutionsstätten in nicht angemeldete Wohnungen oder Hausbesuche, Preisverfall, Zunahme von Anfragen ohne Kondom, verringerte Nachfrage und somit Umsatzrückgänge.

Diejenigen, die keine Alternative zur Sexarbeit haben, können nicht damit aufhören, und genau diese eh schon Marginalisierten müssen dann zu den schlechteren Bedingungen weiter in der Sexarbeit bleiben.

Die Abhängigkeiten werden zunehmen, denn bei mangelnden Deutschkenntnissen wird oft eine Vermittlerperson benötigt für die Kundenkontakte und Terminabsprachen.  In Bordellen jedoch kann auch mit wenigen Worten das Wesentliche geklärt werden oder im direkten Gegenüber mit Übersetzungs-Software gearbeitet werden.

Zahlen Sexarbeiter*innen für die Ausübung ihrer Tätigkeit in der Regel eigentlich Steuern? Wie viel Sexarbeiter*innen gibt es Ihres Wissens in Deutschland?

Die Daten der angemeldeten Sexarbeitenden werden automatisch an das Finanzamt weitergeleitet. Prostitutionsstätten ohne plausible Steuererklärung sind so gut wie ausgeschlossen. Sie sind oft sogar zu Sondersteuern wie Vergnügungssteuer verpflichtet.

Wie viele Sexarbeitende es in Deutschland gibt ist sehr schwer zu sagen, denn: Wer wird denn gezählt?

Zählen die Migrantinnen, die nur für ein paar Wochen oder Monate in Deutschland arbeiten, voll mit? Zählt eine Studentin, die 4-5x pro Jahr einen Escort-Kunden macht, voll mit? Zählen „Jungs“ auf dem Straßenstrich mit, die an anderen Tagen auf dem Bau arbeiten oder Möbel schleppen?

Meine persönliche Schätzung ist, dass sich vor Corona die Hälfte der Sexarbeitenden angemeldet hat. Ende 2019 waren 40.400 Sexarbeitende angemeldet und ich schätze, dass die selbe Anzahl sich nicht angemeldet hat.

Jetzt sind es laut meiner persönlichen Schätzung nur noch ein Viertel bis ein Drittel, die sich anmelden – Ende 2021 waren es 23.700 Sexarbeitende angemeldet.