Warum Diskriminierung von Sexarbeiterinnen gegen das Grundgesetz verstößt

Ein Blogbeitrag von Sexarbeiterin und BesD-Mitglied Emma.


Disclaimer:

In meiner Argumentation liegt der Fokus auf Rollenvorstellungen zu binären Geschlechtern und auf weiblichen Sexarbeitenden.

Es gibt allerdings nicht nur weibliche Sexarbeiter*innen. Sexarbeit ist eine Tätigkeit, die von allen möglichen Geschlechtern ausgeübt wird, denn es gibt mehr Geschlechter als nur Männer und Frauen. Im Folgenden wird es allerdings um die binäre Konstruktion von Geschlechtern, also um Männer und Frauen gehen.

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Geschlecht (1) (soziales bzw. kulturelles Geschlecht/Gender) ist konstruiert. Im Fall unserer Kultur (westlich, christlich, kapitalistisch, patriarchal) ist diese Konstruktion die der `binären Geschlechter´ –> Mann und Frau.

Binär bedeutet `zweiteilig´ und `gegensätzlich´. Konstruktion bedeutet, ein Mensch ist nicht einfach ein Mann oder eine Frau. Sondern wird zum Mann oder zur Frau gemacht und macht sich dann selbst immer wieder zu diesem Geschlecht. Diese Konstruktion entsteht durch Sozialisation und durch die sogenannte Gender Performance (2). Dabei geht die Konstruktion der binären Geschlechter davon aus, dass es nur zwei Geschlechter gibt und, dass diese zwei Geschlechter grundsätzlich gegensätzlich zueinander sind. Diese Idee ist tief in unserer Gesellschaft und Kultur verankert und wird immer wieder reproduziert. Und dadurch, dass diese Idee nicht natürlich, sondern eine Konstruktion ist, muss sie immer wieder erneut konstruiert werden um bestehen zu bleiben. Denn was konstruiert ist kann auch dekonstruiert werden.

 

Teil dieser binär-geschlechtlichen Konstruktion sind bestimmte Merkmale, Eigenschaften und sogar Charakterzüge, die bestimmten Geschlechtern zugeordnet werden. Diese Zuordnung trägt dazu bei, das Konstrukt aufrecht zu halten. Was im Gegenzug bedeutet, dass diese Eigenschaften auch zur Dekonstruktion von binärgeschlechtlichen Rollenvorstellungen beitragen können. Diese Eigenschaften, Merkmale und Charakterzüge sind, genau wie die Geschlechter selbst, gegensätzlich zueinander.

Frauen wird dabei das Bedürfnis nach Liebe, natürliche Fürsorgefähigkeiten, Sanftheit und Unterwürfigkeit zugeordnet. Männern Härte, Dominanz, Kontrolle und ein starker `Sexualtrieb´(3). Weil diese Merkmale Teil dessen sind, was die binären Geschlechts-Konstruktion schafft und aufrechterhält, bedeutet das im Umkehrschluss, dass ein Mann nicht gleichzeitig ein `richtiger´ Mann sein kann und weibliche Merkmale ausweisen kann (4), und eine Frau keine `richtige´ Frau sein kann, wenn sie männliche Merkmale aufweist. Nach dieser Vorstellung ist mit Männern und ihrer Männlichkeit etwas falsch, wenn die sanft, liebevoll, fürsorglich, unterwürfig und emotional sind. Umgekehrt wird Frauen ihr Frausein, ihre Weiblichkeit, abgesprochen wenn sie dominant, kontrolliert, rational, hart, sexuell (und) selbstbestimmt ist. Männer werden dann abwertend als `schwul´ {sic!], Frauen als `Mannsweiber´ bezeichnet.

 

Dieser Konstruktion, dieser Zuschreibungen, finden sich natürlich auch im Bereich der Sexualität wieder. Sowohl in der sexuellen Orientierung als auch im Ausleben der eigenen Sexualität gibt es vergeschlechtlichte Vorstellungen davon, was im Bezug auf Sex und Sexualität entsprechend des jeweiligen Geschlechts, als `richtig´ oder `falsch´ gilt.

Betreffend der sexuellen Orientierung gilt, für beide binären Geschlechter, dass nur Heterosexualität die `natürliche´ und `normale´ Sexualität sei. Sich sexuell zum jeweils anderen binären Geschlecht hingezogen zu fühlen, wird als natürlicher Teil des Geschlechts selbst gesehen. Die `natürliche´ Konsequenz davon ein Mann zu sein bedeutet somit, sich sexuell zu Frauen hingezogen zu fühlen und umgekehrt (5). Deshalb sprechen wir von der sogenannten Heteronormativität, also von der Norm hetero zu sein (6).

 

Aber auch wie die eigene Sexualität innerhalb von Heterobeziehungen existiert und ausgelebt wird ist Teil der Konstruktion von Geschlecht. Denn die Merkmale, die Männern und Frauen jeweils und gegensätzlich zueinander zugeschrieben werden, spielen natürlich auch in ihrer Sexualität eine Rolle. Grundlegend ist dabei festzuhalten, dass Frauen abgesprochen wird überhaupt eine eigene selbstbestimmte, aktive und lustorientierte Sexualität zu haben (7). Damit wird ihnen auch ein eigenes Bedürfnis nach Sex abgesprochen. Wir erinnern uns, die `richtige´ Frau ist sanft, unterwürfig und liebend. Romantisch nicht sexuell. Ja, sie hat Sex. Aber nicht, weil sie das Bedürfnis nach sexueller Befriedigung hat. Sondern, weil sie Intimität, lieben und geliebt werden will. Sie hat zwar kein `natürliches´ Bedürfnis nach Sex, wohl aber danach Mutter zu werden. Und, entsprechend ihrer `weiblichen Unterwürfigkeit´, auch das Bedürfnis aus Liebe zu ihrem Partner seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Denn dieser hat als Mann im Gegensatz zu ihr ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Sex. So die heteronormative und binärgeschlechtliche Vorstellung.

 

Frauen haben nach dieser tief in unsere Kultur verankerten Vorstellung also keine eigene selbstbestimmte, pro-aktive Sexualität oder Kontrolle über ihre Sexualität. Sie nehmen Sex nur in Kauf, um von ihrem Partner geliebt zu werden, Intimität zu erleben, seine Bedürfnisse zu erfüllen und Mutter zu werden. Wenn das, wie in dieser Argumentation hergeleitet, Weiblichkeit und Frau sein ausmacht, dann können Frauen nicht gleichzeitig `richtige´ Frauen und Sexarbeiter*innen sein. Denn dann geht die Vorstellung davon, dass wir unsere Sexualität nutzen, nicht um unseren Partner romantisch nah sein zu wollen, oder Kinder zu zeugen, sondern stattdessen um Geld zu verdienen, gegen das, was unser Geschlecht ausmacht.

Hier vermute ich einen starken Einfluss, warum es vielen Menschen so viel leichter fällt Sexarbeiter*innen als Opfer zu sehen, statt als Arbeiter*innen. Denn als das werden Sexarbeiter*innen im öffentlichen Diskurs zu oft dargestellt, als un-selbstbestimmt und als Opfer. Auch wenn Sexarbeitende wiederholt darauf hinweisen, dass sie sich für ihre Arbeit entschieden haben, und dass nicht alle von ihnen Frauen sind. Das Bild der hilflosen, zu rettenden Frau die sexuell ausgebeutet wird, wenn sie Sex gegen Geld mit wechselnden Fremden hat, passt in dieses Narrativ von Weiblichkeit. Dieses Bild scheint Vielen um einiges logischer und glaubwürdiger zu erscheinen als das Bild der Arbeiter*in die selbstbestimmt und in der dazu Lage ist Entscheidungen über ihren Körper, ihrer Sexualität und ihrer Arbeit zu treffen.

 

Ich möchte argumentieren, dass sexarbeitende Frauen, die Ungleichbehandlung aufgrund ihrer Arbeit erfahren, eigentlich mittelbare Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts erfahren. Sie werden diskriminiert, weil sie sich nicht konform damit verhalten, was von dem ihnen zugeordneten Geschlecht und den dazugehörigen Merkmalen erwartet wird. Ähnlich wie Lara Adamietz, die in ihrer Doktorarbeit `Geschlecht als Erwartung´ darlegt, warum Menschen, die nicht in heteronormative Vorstellungen von cis Geschlechtlichkeit und Heterosexualität passen, eigentlich nicht direkt aufgrund ihrer Queerness diskriminiert werden. Sondern indirekt aufgrund ihres Geschlechts. Ihre Queerness steht im Wiederspruch zu binärgeschlechtlichen heteronormativen, und damit als `normal´ geltenden Vorstellungen von Geschlecht.

 

Sexarbeitende Frauen, so argumentiere ich weiter, werden, auch wenn sie als solche in keinem Anti-Diskriminierungsgesetz explizit genannt werden, trotzdem gesetzlich vor Diskriminierung geschützt. Denn Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bzw. die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau ist sowohl im AGG als auch im Grundgesetz festgehalten. Deshalb argumentiere ich, dass die Diskriminierung von sexarbeitenden Frauen gegen das Grundgesetz verstößt, da es gegen die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau verstößt.

 

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Fußnoten:

  • Geschlecht, Gender oder auch soziales bzw. kulturelles Geschlecht: Im Englischen ist diese Definition leichter, weil es dort das Wort `Sex´ für das biologische Geschlecht und `Gender´ für das soziale/-kulturelle Geschlecht eines Menschen gibt. Im Deutschen haben wir nur ein Wort à Dies führt schnell dazu, dass das biologische Geschlecht und das sozial und kulturell konstruierte Geschlecht fälschlicherweise miteinander gleichgesetzt werden.

Dabei ist das soziale bzw. kulturelle Geschlecht unabhängig davon was seine biologischen und anatomischen Merkmale sind.

 

(2) Gender Performance = Gender Performance oder auch `doing gender´ ist die von Judith Butler in ihrem 1990 veröffentlichten Buch `Das Unbehagen der Geschlechter´ geprägte Idee, dass wir uns wie ein Geschlecht benehmen und dadurch als dieses Geschlecht wahrgenommen werden. Sei das wie wir uns anziehen, präsentieren, unsere Körpersprache, die Tonlage, in der wir sprechen, die Art wie wir kommunizieren, unsere Haare tragen, Sex haben, Konflikte angehen, wofür wir uns interessieren, wie wir Beziehungen führen und vieles mehr. All das ist geprägt von Erwartungshaltungen und vergeschlechtlichten Rollenvorstellungen. In all diesen Aspekten kann ein Mensch sich `wie eine Frau´ oder `wie ein Mann´ benehmen. Und indem wir uns so verhalten, wie sich unser Geschlecht nach der kulturellen und sozialen Vorstellung unseres Geschlechts verhalten sollte, tragen wir dazu bei, dass wir weiterhin als dieses Geschlecht wahrgenommen werden. Unser Geschlecht wird also dadurch, dass wir uns wie unser Geschlecht verhalten, in seiner Konstruktion aufrechterhalten.

(3) Die Polarisierung der Geschlechtercharaktere – Karin Hausen (1976)

(4) Mask Off Masculinity Redefined – JJ Bola (2019)

(5) Geschlecht als Erwartung – Das Geschlechtsdiskriminierungsverbot als Recht gegen Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität – Laura Adamietz (2010)

(6) Heteronormativität = Heteronormativität bezeichnet eine Weltanschauung, welche Heterosexualität als soziale Norm festlegt. Die Basis dessen ist eine binäre Geschlechterordnung, in welcher das anatomische/biologische Geschlecht mit dem sozialen bzw. kulturellem Geschlecht (also Gender), den Geschlechterrollen und sexueller Orientierung gleichgesetzt wird. Das heteronormative Geschlechtermodell geht von einer dualen Einteilung in Mann und Frau aus. Dabei wird als selbstverständlich angesehen, dass Heterosexualität vorgesehen ist und die einzig `normale´ und `natürliche´ Verhaltensweise ist.

(7) Die Sexualität der Frau im Vergleich zu den Anliegen der 68er-Bewegung – Bach 2012