Screenshot der Diskussionsrunde bei "Zur Sache Baden-Württemberg" im SWR

Kein Raum für Nuancen – Kommentar zur SWR-Sendung „Zur Sache“ vom 30.11.2023

Verfasst von Jay Stark, Escort und Mitglied des BesD.

Zwischen “Frischfleisch” und “keine ganz einfachen Frauen”: In “Zur Sache Baden-Württemberg” verhindert der SWR eine differenzierte Debatte um das Sexkaufverbot. Ein persönlicher Kommentar von Jay Stark. 

Mit drei Einspielern und drei Gästen hatte sich der SWR für knapp 30 Minuten Sendezeit viel vorgenommen. Die Frage des Abends: Kann ein Sexkaufverbot gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution helfen?

Zwei Tage zuvor hatte mich ein Team des SWR besucht und rund drei Stunden bei mir in Berlin gedreht für viereinhalb Minuten Einspieler. Vermutlich ebenso kurzfristig entstanden die Aufnahmen für den ersten Beitrag, in dem Natalie Meyer versucht, mit Sexarbeitenden der Leopoldstraße ins Gespräch zu kommen. 

Eine Frage der Umstände

Dass dort keine Person ehrlich mit ihr reden wollte, hat sicherlich viele Gründe. Wie auch im Beitrag erwähnt, waren sowohl Betreiber als auch Kunden in Hörweite. Zudem war ihnen die Reporterin unbekannt und es gab eine Sprachbarriere. 

Aber vor allem: Die Damen waren am Arbeiten und hatten wenig davon, ihre Zeit zu opfern und vor der Kamera zu sprechen. 

Im Gegensatz zu mir: Ich engagiere mich aktiv für Entstigmatisierung und gegen ein Sexkaufverbot. Teil davon ist es, in den Medien aus meiner Berufserfahrung zu berichten. Obendrauf spült mich der Bericht im besten Fall noch neuen Gästen auf den Bildschirm oder in den Feed, was mir dann wirtschaftlich hilft.  

Was ich mit dieser Einbettung sagen möchte: Kontext ist wichtig. 

Kontext braucht aber auch Nuancen, und Nuancen habe ich in der Sendung arg vermisst. 

Eine Frage der Zeit

Das ist auch der Zeit geschuldet, die eingeräumt war. Bei meinem Dreh entstanden 60 GB Filmmaterial, das meiste mit Aussagen meinerseits, die dann viereinhalb Minuten ergeben sollten und schließlich auf rund dreieinhalb Minuten gekürzt wurden. 

Dennoch ist das kein Grund für die eher undifferenzierte Darstellung. 

Der Bericht von Edina Schmitt schafft es, mich sehr authentisch darzustellen, aber es fehlt eine ganze Menge an Aussagen und Informationen, die nötig sind, um meine Meinung zum Sexkaufverbot zu verstehen und auch meine Aussage zur Moral einzuordnen. 

Dafür hätte ich gerne auf Details zu mir als Person und meinen Weg in die Sexarbeit verzichtet, denn an sich wurde ich für ein politisches Interview angefragt

Laut der Redakteurin wäre das auch geplant gewesen, doch musste eben gekürzt werden seitens der Redaktion. 

Das zeigt mir: Es ging dem SWR wohl nicht um eine nuancierte Berichterstattung.  

Eine Frage der Moral

Deshalb an dieser Stelle: Wie meinte ich das mit der Moral?

Wer sich mit Studien zu Ländern beschäftigt, die bereits ein Sexkaufverbot haben, wird schnell erkennen, dass es genau den Betroffenen schadet, denen es helfen soll. 

Ja, sichtbare Sexarbeit wurde in Ländern, die ein Sexkaufverbot eingeführt haben, weniger. Doch Sexarbeit findet weiterhin statt – allerdings dort, wo weder Beratungsstellen noch Polizei einfachen Zugang finden.

Somit sind Betroffene ihrer Lage noch ungeschützter ausgeliefert. Gewalt gegen Sexarbeitende nimmt nachweislich zu und Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. 

Wer also angesichts dieser Realitäten immer noch für ein Sexkaufverbot ist, der möchte meiner Meinung nach nicht in erster Linie den Menschenhandelsbetroffenen helfen, sondern eigentlich die Prostitution reduzieren oder ganz abschaffen. 

Mir ebenfalls wichtig: Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung gibt es nicht nur in der Sexarbeit. Auch in der Fleischindustrie oder der Pflege werden Menschen ausgebeutet. Da würde aber niemand auf die Idee kommen, den Kauf von Fleischprodukten zu verbieten, um Menschenhandel zu bekämpfen. 

Was also wäre effektiv?

Wie zahlreiche andere Organisationen wünsche ich mir eine vollständige Entkriminalisierung, mehr Geld für aufsuchende Sozial- und Polizeiarbeit und Beratungsstellen sowie eine Reform des Migrationsrechts. 

Denn wenn eine Betroffene von Menschenhandel weiß, dass sie abgeschoben wird, wenn sie zur Polizei geht, dann wird sie auch nicht aussagen und Menschenhändler können schwieriger gefasst werden.

Ich könnte hier noch lange weiter schreiben, da es ein sehr komplexes Thema ist. 

Kein Raum für Nuancen

Dass es komplex ist, kam beim SWR-Beitrag “Zur Sache” aber nicht raus. 

Hier wurden negative Schicksale von Sexarbeitenden auf der einen Seite gegen mich als selbstbestimmte Escort präsentiert. John Heer als Betreiber wurde zwei Sexkaufgegener*innen gegenüber gesetzt, die sehr polemisch argumentieren und nicht zuhörten. 

Dabei möchte ich keinesfalls Veronika Schürles Erfahrungen, die sie bei Esther Ministries macht, absprechen oder kleinreden. Es gibt Gewalt und Menschenhandel. Es gibt solche Realitäten, wie sie es berichtet. Und diesen Menschen muss geholfen werden. 

Ebenso gibt es Menschen, die aus verschiedensten Umständen anfangen, sexuelle Dienstleistungen anzubieten aber merken, dass sie psychisch nicht für Sexarbeit geeignet sind, was belastend oder auch traumatisierend sein kann. Ebenso gibt es Personen wie mich, die darin aufblühen und ihre Berufung finden. 

Dazwischen liegt ein weites Spektrum und alle Erfahrungen in diesem Spektrum sind valide. 

Auch das habe ich im Interview angesprochen. Das aber wären zu viele Nuancen, die der SWR wohl nicht zeigen wollte.