Screenshot des Studientitels "Criminalising the Sex Buyer"

Neue Studie zeigt schädliche Auswirkungen des Sexkaufverbotes in Schweden und Norwegen

Die Abhandlung „Kriminalisierung von Sexkaufenden“ von Dr. Niina Vuolajärvi zeigt die Ergebnisse ihrer ethnographischen Studie zum Sexkaufverbot in drei nordischen Ländern auf. Dazu befragte sie 129 Sexarbeitende sowie 81 weitere Personen, die bei der Polizei, als Sozialarbeitende oder politische Entscheidungsträger*in tätig sind. 

Seit 1991 kriminalisiert Schweden Kund*innen von Sexarbeitenden, mit dem offiziellen Ziel, betroffene von Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung zu schützen. Norwegen hat seit 2009 gleiche Gesetze. Finnland  geht einen anderen Weg, und es gelten dort ähnliche Regeltungen wie in Deutschland. Der Sexkauf nur dann strafbar, wenn die sexarbeitende Person mit Zuhälter*innen arbeitet oder von Menschenhandel betroffen ist.

1. Mehrheit der Sexarbeitenden nicht von Menschenhandel oder Zwang betroffen

Die Studie zeigt, dass die Mehrheit der Menschen, die in Schweden, Finnland und Norwegen der Sexarbeit nachgehen, nicht gehandelt oder gezwungen worden. 94 Prozent gaben wirtschaftliche Gründe als Hauptmotiv für den Verkauf von Sex an – unabhängig davon, wie sie das Sexgewerbe interpretieren oder empfinden. So stellt der Verkauf von Sex eine Möglichkeit da, das eigene Leben oder das der Familie zu verbessern und wird oft auch nur als verübergehende Tätigkeit angesehen. 

2. Sexarbeitende werden de facto kriminalisiert und Gefahren ausgesetzt

Offiziell ist der Verkauf von Sex im Rahmen des nordischen Modells erlaubt, doch wird er durch die Durchsetzung der Einwanderungs-, Drittstaaten- und Steuerpolitik de facto kriminalisiert. So ist der Verkauf von Sex ein Grund, Migrant*innen ohne dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung abzuschieben oder ihnen die Einreise zu verweigern.

3. Das nordische Modell schützt die Menschen in der Sexbranche nicht

Die Befragten lehnen Sexkaufverbot vor allem deshalb ab, weil Sexarbeit dadurch in den Bereich der Illegalität gedrängt wird, was den darin arbeitenden Personen den Zugang zu sozialem und rechtlichem Schutz verwehrt und ihre Arbeit gefährlicher macht.

Der fehlende Schutz zeigt sich auf verschiedene Art: 

  1. Das Sexkaufverbot schwächt die Verhandlungsposition der Sexarbeitenden gegenüber ihren Kund*innen: Sie sehen sich gezwungen, ihre Sicherheitsvorkehrungen zu lockern, weil die geringe Nachfrage sie zwingt, auch Kund*innen anzunehmen, die sie ansonsten abgelehnt hätten. Dies setzt Sexarbeitende mehr Risiken für Gewalt aus und macht es notwendig, an unbekannten Orten zu arbeiten.
  2. Fehlende Hilfsangebote: Nach Einführung konzentrierte sich das „Modell“ weitgehend auf die Polizeiarbeit und stellten kaum finanzielle Mittel bereit, um niedrigschwelliger STI-Tests, Gesundheits- oder Rechtsdienste auszubauen oder effektive Unterstützung für Sexarbeitende zum Umstieg in andere Tätigkeiten.
  3. Verstärkte Stigmatisierung: Die weit verbreitete Auffassung, dass kommerziellem Sex eine Form von Gewalt ist, verstärkt die Erfahrungen von Stigmatisierung, Marginalisierung und Diskriminierung. Auch wenn das Gesetz und der Diskurs über Sexarbeit als Gewalt eine neue stigmatisierte Gruppe – die Sexkaufenden – geschaffen haben, wurde die Stigmatisierung von Menschen in der Sexarbeit nicht aufgehoben, sondern eher noch verstärkt.
  4. Wirtschaftliche Marginalisierung: Einkünfte aus kommerziellem Sex sind steuerpflichtig. Doch machen es fehlende Richtlinien der Steuerbehörden schwer, diese Steuern richtig abzuführen. Die Befragten berichteten, dass sie von Steuerbeamt*innen überprüft und anschließend unverhältnismäßig hoch besteuert wurden. Zudem ist es aufgrund der weit gefassten Definition von Zuhälterei oft unmöglich für Sexarbeitende, Bankkonten zu eröffnen oder eine Steuerberatung zu finden.
  5. Vorschriften für Dritte verstärken Zuhälterei und Ausbeutung: Hotels oder Vermieter*innen nehmen von Sexarbeitenden höhere Preise, erpressen sie oder lehen sie ganz ab. Das hat zu einer katastrophalen Wohnsituation für Sexarbeitenden und insbesondere für Migrant*innen geführt.  
  6. Vorschriften für Dritte verhindern Schutzmaßnahmen: Sexarbeitende dürfen nicht gemeinsam in einer Wohnung arbeiten, was sowohl finanziell als auch aus Sicherheitsgründen sinnvoll wäre.

4. Migrant*innen werden unverhältnismäßig stark geschädigt

Die polizeiliche Überwachung von Sexarbeit im Rahmen dieser Studie konzentriert sich auf Migrant*innen, insbesondere auf People of Color. Diese werden nachweislich vermehrt kontrolliert und abgeschoben. 

Schwedische Behörden betrachten die Abschiebung von sexarbeitenden Mirgrat*innen als konkrete Maßnahme, irreguläre Migration einzudämmen. Dies unabhängig davon on diese von Menschenhandel betroffen sind.

Verdecktes Hauptziel: Abschaffung von kommerziellem Sex

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Sexarbeitende und ihre Bedürfnisse bei der Politikgestaltung nicht im Mittelpunkt stehen. Stattdessen erweist sich das Sexkaufverbot als ein komplexer und kontextspezifischer Regulierungsapparat, der darauf abzielt, den kommerziellen Sexmarkt zu stören und abzuschaffen.

Empfehlungen

Angesichts dieser Erkenntnisse macht die Autorin der Studie folgende Empfehlungen:  

  1. Die Abschaffung strafrechtlicher Sanktionen im Zusammenhang mit einvernehmlichem kommerziellem Sex: Eine solche Maßnahme würde dazu beitragen, die Sicherheit der Menschen im Sexgewerbe in den Vordergrund zu stellen und ihre Rechte zu schützen.
  2. Reform der Einwanderungspolitik: Sexarbeit sollte kein Grund für Ausweisung und Einreiseverweigerung sein. Betroffene von Menschenhandel sollten bedingungslos geschützt und legale Wege der Migration und des Zugangs zu formellen Arbeitsmärkten für Migrant*innen geschaffen werden, um die Ausbeutung zu verringern und den Zugang zu anderen Arbeitsformen zu ermöglichen.
  3. Beteiligung von Sexarbeitenden in der Politikgestaltung: Dadurch würden die entstehenden Gesetzte und Dienstleistungen die tatsächlichen Bedürfnisse und Erfahrungen dieser Menschen berücksichtigen und effektiver und relevanter werden.
  4. Anerkennung von Sexarbeit als wirtschaftliche Tätigkeit: Durch diese Anerkennung können Menschen, die Sex verkaufen, ihr Leben besser und langfristiger organisieren und dabei straffrei bleiben.

Zusammenfassend legt die Studie nahe, dass eine Überarbeitung der gegenwärtigen Gesetze erforderlich ist, um die Rechte und Sicherheit aller Menschen in der Sexbranche besser zu schützen und zu fördern.

 

Über die Verfasserin

Dr. Niina Vuolajärvi ist Assistenzprofessorin für internationale Migration am Europäischen Institut der London School of Economics and Political Science. Ihre interdisziplinäre Forschung ist in den Bereichen Migration, feministische und sozio-rechtliche Studien angesiedelt. Niina Vuolajärvi promovierte 2021 an der Rutgers University in Soziologie.

 

Quelle:

Dr Niina Vuolajärvi: „Criminalising the Sex Buyer: experiences from the Nordic region„, London School of Economics 2022.

Deutsche Übersetzung in Erstellung.

 

Mehr lesen:

Report von Amnesty Irland (2022) zu den Auswirkungen des nordischen Modells auf Menschen in der Sexarbeit (Zusammenfassung)

Studien in Frankreich weisen nach: Nordisches Modell gescheitert (Zusammenfassung)

Positionierung von Amnesty International zu Sexarbeit (2016)

Studie aus den USA zu den Auswirkung des nordischen Modells auf Menschen in der Sexarbeit (Zusammenfassung)

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