Zusammenfassung: Wir leben in einem gewalttätigen System – Strukturelle Gewalt gegen Sexarbeiter*innen in Irland (Amnesty International 2022)

In Irland wurde 2017 das Sexkaufverbot nach Vorbild des nordischen Modells eingeführt (Criminal Law (Sexual Offences) Act 2017). Es handelt sich um eine einseitige Kriminalisierung, wobei Sexarbeitende ihre Dienste anbieten dürfen, Kund*innen sich aber strafbar machen, wenn sie diese in Anspruch nehmen.

Amnesty International berichtet in diesem Report über die Auswirkungen des Gesetzes auf die Menschenrechte von Sexarbeitenden in Irland. Ihre Methode basiert auf qualitativen Interviews, die zwischen August 2020 und Oktober 2021 mit Betroffenen, Bürgerrechtsorganisationen, Anwält*innen, Ärzt*innen sowie Vertreter*innen der Justiz in Irland geführt wurden.

Alles deutet darauf hin, dass die geltende Rechtslage die Situation von Sexarbeitenden in Irland entschieden verschlechtert hat. 

Die Mehrheit der interviewten Sexarbeitenden (überwiegend cis-Frauen) berichtet über Gewalterfahrungen im Zusammenhang mit Kunden, die von Stalking und Diebstahl bis zu Vergewaltigungen reichen.

Das Misstrauen der irischen Polizei (An Garda Síochána) gegenüber ist jedoch groß, nicht zuletzt deshalb, weil viele der Betroffenen mit Migrationshintergrund um ihren Aufenthaltsstatus fürchten müssen. Das führt in der Praxis dazu, dass viele Straftaten, denen Sexarbeitende ausgesetzt sind, nicht zur Anzeige gebracht werden.

Auch wenn der Verkauf von Sex nicht unter Strafe steht, sind Sexarbeitende durch die vermehrte Vorsicht ihrer Kund*innen indirekt dadurch gefährdet, dass sie sich in immer verborgenere Bereiche zurückziehen müssen, aus denen sie in Notfällen nicht mehr fliehen können. 

Stigmatisierung sowie Diskriminierung aufgrund von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlechtsidentität in der irischen Bevölkerung sowie der Polizei machen es Sexarbeitenden zusätzlich schwer, sich gegen erlebte Gewalt öffentlich zur Wehr zur setzen. 

Hinzu kommt, dass in Irland der Betrieb eines Bordells unter Strafe steht – wobei „Bordell“ definiert wird als ein Ort, von dem aus zwei oder mehrere Personen Sex als Dienstleistung anbieten. Seit der Gesetzesänderung 2017 drohen bis zu 12 Monate Gefängnis dafür, wenn sich z. B. zwei Sexarbeitende aus Sicherheitsgründen zusammenschließen, um eine gemeinsame Wohnung für ihr Gewerbe zu nehmen.

Auch potentielle Vermieter*innen werden verprellt, denn die zur Verfügungstellung von Wohn- oder Arbeitsraum an Sexarbeitende gilt als Zuhälterei und ist verboten. In der angespannten Wohnungslage, in der sich Irland derzeit befindet, stellt ein drohender Räumungsbescheid eine nicht zu unterschätzende Belastung für Sexarbeitende dar. 

Amnesty International sieht in der derzeitigen Lage von Sexarbeitenden in Irland einen klaren Verstoß gegen die Istanbul-Konvention, die sich die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen als Hauptziel gesetzt hat, und plädiert schon seit längerem für die Entkriminalisierung von Sexarbeit. Ebenso müssen Sexarbeitende in die Entwicklung von Gesetzen, die sie und ihre Menschenrechte (wie u. a. das Recht auf eine angemessene Unterkunft) betreffen, aktiv mit einbezogen werden. 

 

Quelle:

„We Live Within a Violent System“ – Report von Amnesty Irland (2022)

 

Weitere Informationen:

→ Zusammenfassung des Reports von Amnesty Ireland auf ihrem Twitter-Account

Deutsche Übersetzung der Tweets

Positionierung von Amnesty International zu Sexarbeit (2016)

Weitere Informationen rund um das Thema „nordisches Modell“