Wertschätzung in der Ehe, ausgedrückt durch ein heterosexuelle Hochzeitspaar

Wertschätzung, nicht Liebe – Gastbeitrag von Olong

Sexworker und BesD-Mitglied Olong ist in Berlin verortet und bietet Tantramassagen an -> queer-tantra.berlin


Bis 1997 existierte in Deutschland eine Institution, in der bestimmte Frauen – sofern der Mann zu materieller Gegenleistung bereit war – mit diesem unabhängig von ihrer Einwilligung Sex haben mussten. Ohne das Recht zu haben, juristische Strafverfolgung einleiten zu können, falls er sie vergewaltigte. Zwar war es rechtlich nicht bindend, gesellschaftlich war es jedoch bis in die 70er Jahre üblich, dass Frauen, die in diese Institution gerieten, diesem Mann Gehorsam versprachen – üblicherweise in Gegenwart von Verwandten und Priestern. 

Es ist anzunehmen, dass dadurch Millionen von Frauen schwer traumatisiert wurden.

Es handelte sich bei dieser Institution übrigens nicht um eine vor 1997 legale Variante von „Zwangsprostitution“, sondern um die bürgerliche, heterosexuelle Ehe. 

Bis 1958 konnte der Ehemann sogar jegliche andere Erwerbsmöglichkeit der Frau verhindern. Ein Eingehen von freiwilligen Liebesbeziehungen mit Dritten konnte mit bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden, oder alternativ strafrechtlich als Beleidigung des Ehemannes geahndet werden. 

Es hat weitere Jahre gedauert bis anerkannt wurde, dass jegliche sexuelle Interaktion tatsächlich im Moment des Vollzugs einvernehmlich sein sollte und dass dazu eine reine Willensäußerung von Frauen und Männern tatsächlich ausreicht.

Zur Einvernehmlichkeit gehören die freie Bestimmung des Zeitpunktes, der Form und gegebenenfalls des Umfangs einer wie immer gearteten zusätzlichen Gegenleistung. Dies klar abzusprechen, galt bis 2002 als „unsittlich“. 

Ist es nicht interessant, dass bis 1997 eine Ehefrau schlechter gestellt war als eine Sexarbeiterin? Bzw. um dieses Ungleichgewicht zu kompensieren, Sexarbeiter*innen unterstellt wurden, dass sie

  • a) analog zur Ehefrau nicht vergewaltigt werden könnten, und
  • b) sie etwas schambehaftetes, sittenwidriges ausüben?

Diese Scham, diese Diskriminierung und auch die bis 2002 vorhandene Unmöglichkeit ein Recht auf Vergütung juristisch geltend zu machen, ist der Hauptgrund, weshalb sich Zuhälterstrukturen etablieren konnten.

Sexarbeit ist nicht eine „Liebesbeziehung auf Zeit“ sondern eine personenbezogene Dienstleistung. Diese ist angesiedelt in einem Dreieck aus kommunikativer Performance, Hingabe und Lenkung sexueller Energie – basierend auf gegenseitiger Wertschätzung. 

Es ist diese Wertschätzung, die das Sexkaufverbot angreift. 

Wer als Kunde beschämt wird, reagiert unsicher und möchte diese Scham abwenden. Psychologisch gut erklärbar werden nachfolgend Sexarbeiter*innen abgewertet: als Schlampe, Verführerin, als psychisch-minderwertig, zu traumatisiert für eigene Entscheidungen. Diese Abwertung fördert alternative Schutz- und Ausbeutungsstrukturen aus dem kriminellen Milieu aber auch selbstschädigendes Verhalten wie übermäßigen Drogenkonsum.

Sexarbeitsverbote nach dem Nordischen Modell zielen trotz aller anderslautenden Propaganda darauf ab, das Sexarbeitende in zu Zukunft so rechtlos, ausgebeutet und von Kunden missachtet werden, dass sie „freiwillig“ umsteigen bzw.  gar nicht erst nach Deutschland kommen – ein Großteil der hauptberuflich dauerhaft Sexarbeitenden kommt schließlich aus dem Ausland. 

Was brauchen wir stattdessen? 

  • Aufnahme ins Antidiskriminierungsgesetz
  • Abschaffung aller Sonderregelungen und stattdessen ein Verbot aller Ungleichbehandlungen bei Versicherungen, Krediten, bei der Wohnungssuche oder bei der Aufnahme anderer Arbeitsverhältnisse insbesondere im Öffentlichen Dienst. 
  • Möglichkeit der Ausübung der Tätigkeit als Freiberufler*in analog zu Masseuren, Hebammen, Physiotherapeuten und Psychologen. 
  • Aufnahme in entsprechende Sozialversicherungskassen, alternativ in die Künstlersozialkasse.

Nur wer frei ist einzusteigen, ist auch frei wieder auszusteigen. Sexarbeit ist der letzte der körperbezogenen historisch als „unehrlich“ eingestuften Gewerbe. 

Einst gehörten dazu: Schäfer, Bademeister, Personal von Haftanstalten, Henker, Hebammen, Schlachter sowie Barbiere/Friseure. Alles Tätigkeiten, die körpernahe Dienstleistungen sind oder die Lebens- und Intimsphären von Mensch und Tier direkt berühren. 

Es wird an der Zeit, Sexarbeit genau wie die anderen Berufe ehrbar zu machen.

Körperliche Zuwendung ist für die psychologische Gesundheit genauso wichtig wie andere Kommunikation. Besonders zu Zeiten, in denen – demographisch bedingt – sich mittelfristig ein großer Bedarf an professioneller Zuwendung für Alleinlebende oder in Pflege befindlicher Menschen abzeichnet. 

Das Bedürfnis danach schambehaftet zu machen ist ein Rückschritt – kein Land in Europa weist höhere Zahlen von Vergewaltigungen auf als Schweden, das als erstes das sogenannte Nordische Modell eingeführt hat.

Die Raten der Opfer bei Männern sowie Frauen waren in Schweden 2021 sechs bzw. siebenmal höher als in Deutschland.

Trotz landesspezifisch unterschiedlicher Definitionen zeichnet sich hier ein Trend ab – auch in Frankreich und Irland, ebenfalls Länder mit dem Nordischen Modell, sind die Raten signifikant höher. Gut belegt ist weiterhin, dass die Rate der Gewalt gegen Sexarbeitende in diesen Ländern zugenommen hat – es ist plausibel, dass das dort eingeübte respektlose und gewaltvolle Verhalten auf die Gesamtgesellschaft ausstrahlt.

Das vielzitierte Argument, diese hohen Raten spiegeln ein höheres Bewusstsein für sexuelle Selbstbestimmung in der Bevölkerung wieder, ist falsch. Es wäre in diesem Fall mit niedrigeren Raten für sexuelle Übergriffigkeit zu rechnen, nicht mit höheren. 

Es wäre zu hoffen, dass das oben skizzierte Risiko allgemein zunehmender Gewalt Politiker*innen davon abhält, ein Sexkaufverbot auch in Deutschland einzuführen.

Schließlich wurde 1997 die Ehe auch nicht abgeschafft oder verboten, sondern reformiert. Mit so gutem Erfolg, dass sie vor fünf Jahren sogar auf alle Teile der Bevölkerung – homo- und heterosexuell –ausgeweitet werden konnte. 

Quellen:

Beitragsbild von Trung Nguyen.