Zusammenfassung auf Deutsch: „Undeserving victims? – A comminity resport on migrant sex worker victims of crime in Europe “

Dieser Community Report wurde von Luca Stevenson bei der Veranstaltung `Gewalterfahrungen in der Sexarbeit´, als Teil unserer monatlichen Veranstaltungsreihe `eine Stunde, ein Thema´ vorgestellt.

Fragestellung:

  • Im Community Report wird der Frage nachgegangen, wie migrantische Sexarbeiter*innen die Gewalt erfahren haben, Zugang zur Justiz haben, oder eben nicht. Welche Faktoren es ihnen erschweren diesen Zugang zu bekommen und welche dazu beitragen, dass die die ihnen zustehende polizeiliche Unterstützung erhalten.

Eckdaten:

Erscheinungsdatum: 2020

Wer forscht:

  • ICRSE (International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe) in Zusammenarbeit mit 12 Partnerorganisationen in 10 Europäischen Ländern

Zugehörigkeit:

 

Methodisches Vorgehen:

  • 49 persönlich durchgeführte Teilstrukturierte Interviews mit migrantischen Sexarbeitenden zwischen Juni-Dezember 2019 à 47 davon wurden analysiert (S.5)
  • Sexarbeiter*innen waren beim Entwurf der Methoden, der Interviewfragen, der Zielsetzung und der Auswertung der Ergebnisse beteiligt
  • Die Sexarbeitenden wurden über Sexarbeiter*innen Organisationen gefunden. Was zum einen migrantische Sexarbeiter*innen, die keine Probleme haben und sich deshalb nicht an Organisationen wenden ausschließt. Aber auch solche die mit Problemen und Gewalterfahrung, die dabei keine Unterstützung bei Organisationen suchen sind nicht teil der Studie.

Länder in denen geforscht wurde:

  • Österreich, Belgien, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Niederlande, Rumänien, Großbritannien à gesetzliche Lage von Sexarbeit sehr unterschiedlich

Geschlechter der befragten Sexarbeitenden:

  • 55,5% Cis-Frauen, 40,5% Trans-Frauen, 4% Cis-Männer

Herkunftsländer der befragten Sexarbeitenden:

  • 42,5% EU-Länder, 55,5% nicht-EU Länder, 2% unbekannt

Staatsangehörigkeit/Aufenthaltsstatus der befragten Sexarbeitenden:

  • 42,5% EU staatsangehörig, 34,04% Aufenthaltsgenehmigung, 10,75% Asylsuchende, 10,75% undokumentiert, 2% unbekannt

 

Gewalterfahrungen und Gründe für die Gewalterfahrungen:

Unter Sexarbeitenden gibt es einen hohen Anteil an mehrfach Stigmatisierten, welche öfter Opfer von Gewalt und als leichtere Beute gesehen. Da den Täter*innen bewusst ist, dass die Sexarbeitenden keine Strafanzeige bei der Polizei stellen werden und weniger gesellschaftlichen Rückhalt haben, trauen sie sich ohne Angst vor Konsequenzen diese Sexarbeiter*innen anzugreifen.
Viele der Sexarbeitenden gehören zu einer oder mehreren Gruppen, die aufgrund von Struktureller Gewalt und Diskriminierung einem erhöhten Gewaltrisiko unterliegen. Diese wertet ihren gesellschaftlichen Status ab.

z.B. sind 40,5% der Befragten sind Transfrauen.

à Diese sind also mit erhöhter Wahrscheinlichkeit von Transfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Sexarbeiter*innenfeindlichkeit gleichzeitig betroffen. Die Sexarbeitenden erfahren also nicht nur Gewalt, weil sie Sexarbeiter*innen sind, sondern weil sie Rassismus, Sexismus, Klassismus, Xenophobie, Trans- und Queerphobie, Ableismus und Sexarbeitsfeindlichkeit abbekommen. Teils Kombinationen aus mehreren Diskriminierungsfaktoren.

 

Die Befragten der Studie sind betroffen von (S.10):

  • < 45% physischer Gewalt
  • 45% psychischer Gewalt
  • < 30% Beleidigung
  • 30% Raub
  • < 25% Sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung
  • < 15% Arbeitsausbeutung
  • 15% Verweigerung der Zahlung für geleisteten Service

 

Weshalb keine Anzeigen erstattet wurden

Viele der Befragten erstatten keine Anzeige (36%) bei der Polizei oder nur mit Unterstützung von einer Sexarbeiter*innenorganisation (28%).

Die Befragten geben an, dass die Faktoren, welche sie von dem polizeilichen Anzeigen der Gewalttat abhalten, sind (S. 29):

  • Angst vor Haft und Abschiebung aufgrund ihres Migrationshintergrunds und Aufenthaltsstatus
  • Angst vor Strafzahlungen, Verfolgung, Outing als Sexarbeiter*innen, oder Verlust des Sorgerechts für ihr Kind, weil sie Sexarbeiter*innen sind
  • Angst davor ihren Wohn- und Arbeitsraum zu verlieren
  • Angst davor, dass andere (Kolleg*innen, Vermieter*innen etc.) zu belasten
  • Negative Vorerfahrungen und Misstrauen gegenüber der Polizei

 

Faktoren, die dazu beitragen, dass Strafanzeigen erstattet werden (S.29):

  • Unterstützung einer vertrauten Sexarbeiter*innenorganisation
  • Gute Vorerfahrungen mit der Polizei und das Kennen der Beamten; Beamte die Sexarbeiter*innen schützen wollen
  • Das Wissen, dass ihr Status als Sexarbeiter*in nicht gegen sie verwandt wird
  • Mehr Angst vor Täter*innen als vor der Polizei und den Konsequenzen sich an die Polizei zu wenden

 

Perspektiven von Sexarbeitenden zur Polizei:

  • Stereotype, Stigma und Gender-Vorurteile schränken den Zugang zur Justiz massiv ein
  • Vorurteile darüber was angemessenes Verhalten einer Frau zu sein hat à Frauen, die dieser Norm nicht entsprechen werden, demütigend und lächerlich machend behandelt
  • Negative Vorerfahrungen mit der Polizei sind ausschlaggebend darüber, ob sich die Sexarbeitende bei erneuter Gewalterfahrung an die Polizei wendet
  • Die Angst aufgrund von Diskriminierung vom Opfer zur Täter*in gemacht zu werden
  • Generelles Vermeidungsverhalten gegenüber der Polizei aus Angst vor Strafverfolgung rund um Sexarbeit
  • Gesetze, die dazu beitragen, dass Sexarbeiter*innen versteckt arbeiten müssen (Kriminalisierung, Teil-kriminalisierung, Sexkaufverbot) erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Gewalterfahrungen
  • Fehlender Schutz für Migrant*innen Straftaten Anzeigen zu können, ohne abgeschoben zu werden
  • mehr Empfänglichkeit und Verantwortungsgefühl der Polizei gegenüber Sexarbeiter*innen
  • als „gute Polizeiarbeit“ wird gesehen, wenn die Polizei ihren Job macht, ohne selbst Gewalt auszuüben, zu diskriminieren oder der Betroffenen nicht zu glauben
  • das Fehlen sicherer Arbeitsplätze (durch Kriminalisierung, Sexkaufverbot und Sexarbeit als Straftat statt als Arbeitsrecht) als Faktor der zu Gewalterfahrungen beitragen