Warum ich als Sexarbeiterin die Kondompflicht ablehne

Die Kondompflicht in der Sexarbeit – gesetzlich festgelegt im Paragraph §32 des sogenannten „Prostituiertenschutzgesetz“ soll zum Schutz und der sexuellen Gesundheit von Sexarbeitenden beitragen. Warum sprechen sich also Sexarbeitenden-Vereinigungen und die Deutsche Aidshilfe seit Jahren so deutlich gegen die Kondompflicht aus? Darüber schreibt die Sexarbeiterin und BesD-Vorständin Madame Simone in diesem Beitrag, den sie in abgewandelter Version zuerst auf ihrem Twitter-Account und in ihrem Blog veröffentlicht hat.


Dieses Thema ist ein ziemlich heißes Eisen. Wer sich gegen eine Kondompflicht ausspricht, muss das immer gut begründen, ansonsten wird ein Shitstorm sondergleichen aufziehen. Gerade die Aidshilfe wird unglaublich oft heftig angefeindet und als „unterwandert von der Sexworker-Lobby“ bezeichnet.

Die Ablehnung der Kondompflicht ist die Stelle, an der Sexwork-Gegner*innen gerne den Hebel ansetzen und mit Schlamm werfen.

Und es ist ja vordergründig auch ein guter Hebel. Es ist auf den ersten Blick gut und vermeintlich hilfreich für Sexarbeitende, hartnäckigen Kunden sagen zu können, dass Sex ohne Kondom in der Sexarbeit gesetzlich verboten ist.

Doch sieht man sich die Realität an, wird sichtbar, dass es sich bei der Kondompflicht um einen Alibi-Paragraphen handelt. Es ist Symbolpolitik – ein „Schaut, wir tun was!“, ohne tatsächlich etwas zu tun.

Der überwiegende Teil der Sexarbeitenden, auch auf dem Straßenstrich, arbeitet von sich aus mit Kondomen. Der eigene Körper und die Gesundheit sind unser Kapital. Sexarbeitende wissen in der Regel ziemlich gut Bescheid, wie man ansteckende Krankheiten vermeiden kann.

Sexarbeitenden, die sich das (tatsächlich und im übertragenen Sinne) leisten können, können Anfragen nach Praktiken ohne Schutz ignorieren und haben durch die Kondompflicht nichts gewonnen.

Werden wir krank, dann können wir nicht arbeiten, kein Geld verdienen. Auch Schwangerschaften sind nicht unbedingt geschäftsfördernd.

Kunden, die hartnäckig nach Sex ohne Schutz fragen, ist es schlichtweg egal, ob es erlaubt oder verboten ist. 

Die Nachfrage nach AO („Alles Ohne“, also jegliche Form von Verkehr ohne Schutz) ist nach wie vor hoch. Kondompflicht hin oder her. Wenn ein*e Kolleg*in nein sagt, wird versucht, die nächsten zu überreden oder zu drängen oder gar zu zwingen.

Sexarbeitenden, die keine andere Wahl haben, als alles zu machen um auch nur ein bisschen Geld anzuschaffen, hilft die Kondompflicht absolut gar nichts.

Oder glaubt ihr, jemand der Geld für den nächsten Druck, für etwas zu essen, oder gar für einen Arschloch-Loverboy anschaffen muss, sagt „Nee Du, sorry. Hier nur geltendes Recht, nur mit Kondom!“ wenn wirklich, wirklich dringend Geld benötigt wird?

Gerade jetzt in der Pandemie wurde offensichtlich, dass den am prekärsten arbeitenden Kolleg*innen, die zu Praktiken ohne Schutz gedrängt werden, oft nichts anderes übrig bleibt, wenn sie überleben wollen.

Da muss angesetzt und geholfen werden – mit niedrigschwelligem und verstärkten Zugang zu Aufklärung, Beratung, Hilfestellung. Nach wie vor gibt es davon von offizieller Stelle leider noch viel zu wenig, was ein Grund für die Existenz und die sich schnell leerenden Taschen des Nothilfe Fonds für prekär lebende Sexworker ist.

Klar, wenn zum Beispiel ein*e Bordellbetreiber*in die anmietenden Sexarbeitenden dazu drängen wollen würde, ohne Kondom zu arbeiten, dann haben diese durch die Kondompflicht theoretisch die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Aber würde es wirklich jemand tun? Es ist doch eher unwahrscheinlich dass Sexarbeiter*innen, die keine Alternative dazu sehen, in solchen Etablissements zu arbeiten, sich dann an die Polizei wenden oder sich gar anwaltliche Unterstützung holen.

Der Paragraph zur Kondompflicht kann von Behörden gegen Sexarbeitende genützt werden. 

Wie das? Na ganz einfach: Die Behörden dürfen auch die Einhaltung der Kondompflicht kontrollieren. Ihr fragt Euch jetzt sicher „Hä? Wie will man das kontrollieren?! Da müsste man ja…“ Ja. Genau. Es ist grundsätzlich möglich und tatsächlich schon passiert, dass die zuständige Ordnungsbehörde in einer Region buchstäblich Sexarbeitende vom Kunden herunter „gebeten“ hat, um nachzusehen. Nein. Das ist kein Scherz!

Wo man sonst keine Handhabe hat, irgendwas zu kontrollieren, da kann man theoretisch immer sagen „Ja, wir mussten doch die Einhaltung der Kondompflicht überprüfen!“.

Passiert das oft? Ich glaube nicht. Ist es schon passiert? Ja! Kann es jederzeit passieren? Ja!

Es gibt also keinen tatsächlichen, in der Praxis irgendwie spürbaren Wert der Kondompflicht für Sexarbeitende. Die Kondompflicht trägt weder zur sexuellen Gesundheit noch Sicherheit von Sexarbeitenden bei. Sie erlaubt aber massive Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung sowohl von Sexarbeiter*innen als auch von Kund*innen. 

Und genau deswegen sind viele Sexarbeitende, Beratungsstellen und Sexworker-Organisationen gegen die Kondompflicht. Deswegen applaudiert auch die Deutsche Aidshilfe nicht einem völlig nutzlosen Paragraphen in einem total fragwürdigen Gesetz!

HIV wurde auch nicht durch eine allgemeine Kondompflicht eingedämmt, sondern durch unermüdliche Aufklärung! Durch Beratung und Prävention.

Stellt Euch mal vor, was das für ein Aufschrei in der Bevölkerung gewesen wäre, wenn der Staat so in die Bettbeziehungen der Bürger*innen hätte eingreifen wollen! Aber warum denken dann so viele Menschen, die Kondompflicht in der Sexarbeit sei etwas Sinnvolles, Gutes?

Warum ist es bei uns Sexarbeitenden ok, mit Zwängen zu hantieren, und uns damit auch unseren gesunden Menschenverstand und den Wunsch nach Selbstschutz abzusprechen?

Zu Weihnachten haben wir vom Sexworker Stammtisch in Köln über 200 Goodie Bags als Geschenke für Kolleg*innen auf der Straße gepackt und verteilt/verschickt. In jedem einzelnen Geschenk waren auch etliche Kondome. Ratet mal, warum Sexarbeitende größere Mengen Kondome in Goodie Bags für andere Sexarbeitende packen? Genau.

Weil wir sie benutzen, da sie uns schützen, nicht, weil der Staat uns das aufzwingt.

Aufklärung, Beratung und Unterstützung bei Gesundheitsfragen sowie anonymer und niedrigschwelliger Zugang zu medizinischer Versorgung schützt Sexarbeitende! Nicht Repression oder ein nett aussehender aber nutzloser Paragraph.