Schutz vor Gewalt für alle Frauen – ohne Kriminalisierung von Sexarbeit
Zum Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen wollen wir daran erinnern:
Gewalt gegen Frauen – einschließlich trans Frauen sowie nicht-binärer Personen, die weiblich gelesen werden – ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, die konsequent bekämpft werden muss.
Gewalt gegen Frauen bleibt ein drängendes Problem
- Die häusliche Gewalt gegenüber Frauen hat im Vergleich zum Vorjahr zugenommen (Aktuelles Lagebild des BKA)
- Die internationalen Verpflichtungen zur Arbeit gegen geschlechtsspezifische Gewalt werden in Deutschland nach wie vor nicht ausreichend umgesetzt (2025-Bericht des Bündnis Istanbul-Konvention)
- Es finden Kürzungen im sozialen Bereich statt: Diesen Monat wurden dem Fonds für Opfer sexueller Gewalt die Gelder gestrichen (Bericht der Unabhängigen Bundesbeauftragten)
Gleichzeitig beobachten wir mit Sorge, dass in der politischen Debatte wieder vermehrt sexuelle Gewalt, sexuelle Zwangsarbeit und Menschenhandel mit Sexarbeit vermischt werden.
Wer Sexarbeit pauschal als Gewalt definiert, verschließt die Augen vor den Ursachen von Gewalt und Ausbeutung, und schadet damit Betroffenen.
Warum Sexarbeitende besonders gefährdet sind
Sexarbeit findet nicht in einem Vakuum statt und ist nicht von gesamtgesellschaftlichen Problemen befreit.
Im Gegenteil können sich diese Probleme beim Blick auf die Branche besonders krass zeigen. Warum ist das so?
Aufgrund der Niedrigschwelligkeit des Einstiegs, die Sexarbeit für so viele Menschen zu einer vergleichsweise attraktiven Wahl macht, arbeiten viele mehrfach stigmatisierte Personengruppen in der Branche.
Diese sind aus unterschiedlichen Umständen statistisch besonders gefährdet, Opfer von Formen von Gewalt und Ausbeutung zu werden.
Zum Beispiel:
- weil sie von Armut bedroht sind
- weil Erkrankungen, körperliche Einschränkungen oder Behinderungen vorliegen, die die Ausübung vieler anderer Tätigkeiten aufgrund ihrer (konstanten) Zeit-Intensität unmöglich machen
- weil chronische oder akute psychische Erkrankungen, zum Beispiel Suchterkrankungen, vorhanden sind
- weil eine Sprachbarriere besteht
- weil sie eine andere Hautfarbe als die weiße Mehrheitsgesellschaft haben
- weil sie kein offizielles Aufenthaltsrecht haben
- weil sie keine Arbeitserlaubnis in Deutschland haben
- weil erlerntes Misstrauen gegenüber Polizei oder Ämtern besteht
(Sexuelle) Gewalt oder Ausbeutung kann im Privat- wie im Arbeitsleben stattfinden – im Zusammenhang mit der Tätigkeit in der Sexarbeit sind bekannte Probleme z.B.:
- Psychische bzw. physische Gewalt und Nötigung durch Beziehungspartner*innen (“Loverboy-Methode”) oder Familie /soziales Netzwerk/kriminelle Gruppierungen vor Ort oder im Ursprungsland („Magische Rituale/Zeremonie“, Bedrohung von Verwandten, u.a.)
- Machtausübung durch Kontrolle über Finanzen, finanzielle Ausbeutung
- Ausnutzung mangelnden Wissens über Gesetze und Rechte in Deutschland z.B.
- Grenzüberschreitende Kundschaft aufgrund des sozialen Machtgefälle
- Grenzüberschreitende Interaktionen seitens Behörden/Ämter aufgrund von Machtgefälle/Vorurteilen etc.
- Bedrohung von Lebensgrundlage/Aufenthalt von Kindern/Wohnung durch Outing
Warum eine Kriminalisierung von Sexkauf nicht zielführend in der Bekämpfung von Missständen ist
Gewalt gegen Frauen ist nicht sexarbeits-inhärent.
Sexarbeit ist zugänglicher als andere Berufe und das macht diese Arbeit zu einer Wahl für viele Menschen – ob als Wunschberuf, als Zwischenlösung oder als beste Wahl unter den Umständen.
Erschwert man Sexarbeit durch strafende Maßnahmen wie Freierkriminalisierung, verschlechtert dies nur die Bedingungen der in der Sexarbeit tätigen Personen – das haben etliche Studien zu diesem Thema bereits bewiesen.
Menschen mit wenig Wahlmöglichkeiten zum Broterwerb haben dadurch nur eine noch geringere Auswahl.
„Welt ohne Prostitution“ – Eine Fantasie, die Betroffenen schadet
Die pauschalisierende Diskussion um eine vermeintliche Abschaffung oder Verdrängung von Sexarbeit (“Welt ohne Prostitution”) behindert den Blick auf gewaltbetroffene Frauen in der Sexarbeit und verhindert deren wirksame Unterstützung.
- Menschen, die von Gewalt und Ausbeutung gefährdet sind profitieren NICHT davon, dass man ihre Arbeit schwieriger und risikoreicher macht, indem man die Kundschaft kriminalisiert, sprich: ihre wirtschaftliche Grundlage entzieht.
- Sie profitieren NICHT davon, dass über sie als bedauernswerte Opfer gesprochen wird und ihre Fähigkeit zu eigenen Entscheidungen aberkannt wird.
- Sie profitieren NICHT davon, zum Umstieg in andere niedrigschwellige Tätigkeiten genötigt zu werden, in denen sie nur einen Bruchteil der Verdienstmöglichkeiten haben.
- Sie profitieren NICHT davon, gegen ihren Willen “nach Hause” geschickt zu werden.
- Sie profitieren NICHT davon, dass Sexarbeit noch tabuisierter wird, als es ohnehin schon ist.
Sexkaufverbote führen nachweislich zu unsichereren Arbeitsorten, schlechterem Zugang zu Unterstützung, berechtigter Angst vor Behörden sowie einem immensen Anstieg der psychischen Belastung bei Sexarbeitenden:
Unter anderem durch Angst vor Behörden sowie die Angst vor einem ungewollten Outing und den schlimmen Konsequenzen, die ein solches Outing nach sich ziehen kann. Zum Beispiel:
- die Gefahr als Elternteil das Sorgerecht zu verlieren / vor Gericht als weniger gut geeignet eingestuft zu werden
- die Gefahr als Mieter*in die Wohnung gekündigt zu bekommen
- die in ihrem Ausmaß nicht einschätzbare Gefahr der sozialen Bestrafung/Ausgrenzung – durch mögliche Vorurteile seitens Familie, Nachbarschaft, Lehrer*innen des Kindes, Ärzt*innen, etc.
Mehr Rechte, weniger Stigma: Was wirklich helfen würde
Im Kampf gegen Gewalt und Ausbeutung von Frauen* brauchen wir keine verstärkte Kriminalisierung, sondern mehr Normalisierung!
Die diesjährige Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes bietet eine wertvolle Basis dafür, welche Reformen der derzeitigen Gesetzeslage der richtige Anfang für eine Verbesserung der Lage in Deutschland wären!
Es handelt sich dabei um die bisher umfangreichste Studie zur Prostitution in Europa, die aufgrund einer umfassenden Datenerhebung sowie der gezielten Einbindung von Sexarbeiter*innen bereits als wegweisend gilt (Abschlussbericht der Evaluation).
Langfristig brauchen wir eine Verschiebung der Branche ins „Hellfeld“:
- den Abbau stigmatisierender Sonderregelungen wie der Anmeldepflicht
- mehr Gelder für niedrigschwellige Beratungs- und Unterstützungs-Angebote
- Antistigma-Projekte, die Vorurteile gegen Sexarbeiter*innen abbauen
- Mehr Rechte und Sicherheit insbesondere für migrantische Sexarbeitende
Wir fordern:
- Hartes Durchgreifen gegen kriminelle Organisationen, die gewaltvoll gegen Frauen sowie weiblich gelesene Personen vorgehen und diese durch Nötigung, Erpressung oder sonstige Gewalt unter Kontrolle zu halten und auszubeuten suchen.
- Flächendeckende, langfristig finanzierte und niedrigschwellige Beratungsstellen für Sexarbeitende.
In Sozialarbeit und praktischer Unterstützung vor Ort liegt der erfolgversprechendste Weg, Frauen in einer missbräuchlichen Beziehungsdynamik – ob zum Intimpartner, Familie oder Freunden – darin zu unterstützen, dieser zu entfliehen. - Mehr Frauenhäuser, die Sexarbeitende und trans Frauen nicht ausschließen!
- Unbedingten Schutz vor Abschiebung und Bestrafung für alle Betroffenen von sexueller Ausbeutung – unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft gegen Täter*innen!
- Antistigma-Arbeit, weil sie das Risiko für Gewalt nachweislich senkt
- Die Refinanzierung des „Fonds Sexueller Missbrauch“
- Die konsequente Umsetzung der Empfehlungen aus dem Bericht der Istanbul Konvention
Ein wirksamer Gewaltschutz muss alle Umstände und Hintergründe im Blick behalten – ohne Verkennung der Ursachen von Gewalt und Ausbeutung und ohne ideologische Verzerrung.


