Wenn Fakten ignoriert werden: Meine Antwort an den WDR und Frau Klöckner
Als seit vielen Jahren in Deutschland tätige Sexarbeiterin wurde Madame Kali vom WDR als Interviewpartnerin befragt – es sollte um den Vorstoß Klöckners in Sachen Sexkaufverbot im Bundestag gehen.
Wie der finale Beitrag zeigte, war man jedoch nur vorgeblich an der Meinung einer direkt betroffenen Person interessiert. Dieser Beitrag wurde zuerst in Madame Kalis Blog veröffentlicht.
Seit Tagen wettert die Weinkönigin des Bundestages, Frau Klöckner, voreingenommen und gegen jeglichen allgemeingültigen politischen Diskursrahmen populistisch gegen Sexarbeitende und ihr Umfeld.
Sie fordert dabei einerseits, die Rechte von Sexarbeitenden nachhaltig zu schützen (guter Ansatz), wobei sie nur von Frauen redet. Diese stellen in etwa 75 Prozent dar, die anderen 25 Prozent sind männlich, non binär usw.
Im gleichen Atemzug sagt sie aber auch, dass sie die Arbeit von in der Sexarbeit tätigen Personen kriminalisieren möchte, wie dies zum Beispiel in Schweden der Fall ist.
Damit hebelt sie ihre eigene Aussage komplett aus den Angeln, denn in der Illegalität lässt sich nicht geschützt arbeiten.
Im Gegenteil: Illegale Strukturen in der Sexarbeit fördern Menschenhandel, Ausbeutung und Zwang.
Fakten statt Angstmache: Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes
Auch unterschlägt sie die 900 Seiten starke Evaluation zum seit 2017 in Kraft getretenen Prostituiertenschutzgesetz, die diesen Sommer erschienen ist und ebenfalls einige Verbesserungsvorschläge bereithält.
Spoiler: Von einer Kriminalisierung (auch der teilweisen!) der Branche wird ausdrücklich abgeraten.
Und ich denke, dass das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen durchaus mit Fachkompetenz gesegnet ist, der man vertrauen kann.
Nun wollte der WDR, dem ich seit Ewigkeiten gerne in Funk und Fernsehen folge, auch mich zu diesem Thema befragen.
Ein Besuch vom WDR, der bei mir Fragen hinterlässt
Als eine offizielle Speakerin des Berufsverbandes Sexarbeit sagte ich gerne zu und berichtete dem regionalen Bielefelder Autor alle Fakten zu diesem Thema.
Der Berufsverband Sexarbeit ist der größte Verband dieser Art in Europa und steht für die Belange aller in der Sexarbeit tätigen Personen ein, egal ob Straßenstrich oder Edel-Escort, egal ob Tantramassage oder BDSM Studio, Saunaclub oder Privatwohnung das Arbeitsumfeld bilden.
Menschenhandel und Zwangsprostitution stellen schwere Straftatbestände dar, die mit legaler Sexarbeit absolut nichts zu tun haben. Diese sind nach geltendem deutschen Recht zum Glück strafbar!
In den meisten europäischen Ländern ist Sexarbeit zum Glück legal. Wichtig ist eine Tätigkeit im Hellfeld, da sonst etwaige Probleme kaum ans Licht kommen können.
Untersuchungen und Evaluationen zu den Gesetzen in Schweden und Frankreich sprechen eine klare Sprache. Kontrolle, Prävention und Opferschutz sind in diesen Ländern leider kaum mehr möglich.
Namhafte NGOs, vertraut mit sexueller Gesundheit und auch schwierigen Arbeitsverhältnissen bis hin zum Menschenhandel, raten dringend zu mehr Transparenz und damit verbundenen Möglichkeiten, Missstände in der Sexarbeit aufdecken zu können.
Hier seien beispielhaft genannt:
- der KOK Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel
- Amnesty International
- Diakonie Deutschland
- SKF Sozialdienst katholischer Frauen, ebenfalls als Träger vieler niedrigschwelliger Beratungsstellen und Sozialarbeit im Umfeld der Sexarbeit
- die Deutsche AIDS Hilfe
- Pro Familia
- weite Teile der VERDI Gewerkschaft
Mehr Fakten und Quellen zum Thema Sexkaufverbot und weiterreichende Links finden sich auch in meinem Blog.
Was wolltet ihr, lieber WDR, also nun? Der Frau Klöckner einseitig nach dem Mund reden?
Oder eine Berichterstattung, die eines öffentlich rechtlichen Mediums würdig ist?
Was sollte meine Rolle sein? Die des Feigenblattes?
Voilá, dann entrolle ich mal das Papyrus: Wo war die Hinwendung zu den oben genannten Expert*innen?
Alte Muster in der Berichterstattung: Die Branche besteht nicht aus dem Straßenstrich!
Stattdessen wird ein Straßenstrich bei Köln aufgesucht, im Schlepptau die designierte Prostitutionsgegnerin Barbara Schmidt, welche nach bevormundender Maxime sich nicht um die Belange der Sexarbeitenden interessiert, sondern lediglich mit moralischem Zeigefinger gegen alle Freier wettert, moralinsaurer Männerhass in Reinform.
Was genau wollte der Autor Carsten Upadek damit erreichen? Eine Reportage über die Prostitutionsgegnerin Barbara Schmidt machen?
Er habe gehört, dass Rockerbanden… soso… Was genau, erzählt er nicht, auch fehlt jegliche Quellenangabe. Aber er hat damit eindeutig emotionalisiert, wo es doch um Sachlichkeit gehen sollte.
In geradezu übergriffiger Weise werden Sexarbeitende in Wohnwagen ohne vorherige Anmeldung aufgesucht, ob sie sich filmen lassen wollten.
Meint er etwa, dass diese Sexarbeitenden sein Spiel nicht durchschauen?
Natürlich zogen sie sich bei solch einem Überfallkommando zurück, darüber hinaus sind in solch prekären Situationen arbeitende Menschen oftmals auch nicht geoutet.
Sie sind ohnehin nur zum Arbeiten hier, vielleicht ein oder zwei Wochen, danach fahren sie wieder in ihr eigentliches Leben, mit hoffentlich genug Geld.
50 Euro pro Gast, wenn sie Glück haben fünf bis acht Gäste am Tag, so viel bekommt man ohne Ausbildung und mit teils mangelnden Deutschkenntnissen sonst nirgends.
Und auch die mit Vorhängeschlössern versehenen Handwerkerbullis, die später noch an ganz anderer Stelle gefilmt werden, gesichert gegen Einbruch und Diebstahl des vermutlich innen liegenden Werkzeuges, werden kurzerhand zur Prostitutionsstätte erklärt. Warum?
Weil es sich so schön als Elend deklarieren lässt?
Weiß Herr Upadek eigentlich, dass die Straßensexarbeit gerade einmal 8 bis 10 Prozent ausmacht, sich hier gerade auch Menschen tummeln, die nirgends anderswo unterkommen, und dass sie mitnichten ein repräsentatives Beispiel für die Sexarbeit sind?
Das ist Sexarbeit: Vielfältig, komplex und stigmatisiert
Armut wird vom WDR als weiterer stigmatisierender Begriff eingeführt, gerade auch die migrantischen Kollegys aus armen Verhältnissen in Bulgarien.
Ist es denn verwerflich, mit Sexarbeit solchen Verhältnissen entkommen zu wollen?
Sind Erntehilfe, Fabrikarbeit, Putzjobs, Pflege oder Callcenter die besseren Alternativen?
Für viele von uns nicht, wir kennen oftmals nur allzu gut diese Alternativen, die für uns eben nicht oder nicht mehr in Frage kommen.
Sexarbeit ist für manche Menschen die beste Option, ein Ausweg oder auch einfach das kleinere Übel.
Sie ist ähnlich vielfältig wie Gastronomie: von der kleinen Pommesbude über den Cateringservice, die Pizzeria an der Ecke, das vegane Restaurant, den Biergarten bis zur gehobenen Michelin Sterneküche findet sich alles.
Schlechte, illegale und stigmatisierende Strukturen möchte keiner!
Wir wollen legale und sichere Arbeitsplätze im Hellfeld, wo Zwang und Ausbeutung keine Chance haben!
Dafür kämpfen wir, die Hurenbewegung, welche es seit Beginn der Frauenbewegung gibt.
Hier im Namen des Berufsverbandes BesD und vieler anderer NGOs und aktivistisch tätiger Personen.
Eure
MadameKALI
1) Evaluation des ProstSchG Prostituiertenschutzgesetz von 2017 in Deutschland
2) Evaluierte Realität in Irland/Nordirland
Die offizielle Evaluierung des Justizministeriums in Nordirland (2019) fand keinen Nachweis dafür, dass die Kriminalisierung der Käufer die Nachfrage senkt. Gleichzeitig zeigten sich Risiken: stärkere Stigmatisierung, Verlagerung in unsichere Settings, schwierige Durchsetzbarkeit. Kurz: Die versprochene Wirkung bleibt aus, die Nebenwirkungen treffen die Betroffenen.
3) Kanada: dokumentierte Schäden seit PCEPA (2014)
Peer reviewte Public Health Forschung aus Vancouver und nationale Analysen zeigen nach der Klienten-Kriminalisierung konsistent: weniger Zeit zum Screening, geringere Verhandlungsmacht, erschwerte Kondomnutzung, mehr Gewalt und schlechtere Zugänge zu Schutz und Gesundheit.
Der Justizausschuss des Unterhauses empfahl 2022/23 folgerichtig eine Kurskorrektur, weil PCEPA Sexarbeiterinnen nachweislich schadet – Link zum Unterhausbericht.
4) Internationale Fachgremien: Entkriminalisierung schützt
Die WHO und Partnerprogramme (UNAIDS u. a.) empfehlen seit Jahren die Entkriminalisierung einvernehmlicher Sexarbeit, weil Kriminalisierung Sicherheit, Gesundheit und Rechte untergräbt; Modellierungen zeigen substanzielle Vorteile für Prävention und Versorgung. Amnesty International beschloss 2016 nach globaler Evidenzprüfung dieselbe Linie.
Diese Empfehlungen schließen konsequente Maßnahmen gegen Zwang, Kinder und Menschenhandel explizit mit ein, aber ohne pauschale Kriminalisierung der einvernehmlichen Arbeit.


