Schock für Sexarbeitende: Lilo Wanders fordert #RotlichtAUS und setzt sich gegen Prostitution ein?

Viele ihrer langjährigen Fans können es nicht fassen: Nachdem Lilo Wanders noch 2020 in der Aktion #RotlichtAN! öffentlich Sexworker-Rechte unterstützte, wirbt die Aufklärer-Ikone heute scheinbar gemeinsam mit der sexworkerfeindlichen Kampagne #RotlichtAUS für das Nordische Modell.

Mitglieder aus der bekanntermaßen sehr bunten Sexwork-Welt sind mehr als befremdet. Ein Sexworker sagt dazu: „Sie hat so viel schwule Fans – jeder, den ich bisher angesprochen habe ist ebenfalls geschockt. Mache vermuten sogar, dass es ein Fake sein könnte.

Erst vor kurzem berichtete uns eine Sexarbeiterin von ihren Erfahrungen bei einem Event der #RotlichtAUS-Kampagne in Buxtehude letzten Samstag – „Erfahrungsbericht zu Einstiegsverfahren und Langzeitfolgen der Prostitution“:

„Es ist echt gruselig da oben in Stade. Ein Mann, der mit einer Sexworkerin befreundet ist, wurde als Störenfried rausgebeten, nachdem ein Wort das andere gegeben hatte und sein Wunsch nach Diskussion als Verschwendung von Lebenszeit bezeichnet wurde. Eine Sozialarbeiterin, die mit Sexworkern arbeitet, wurde abgefertigt da sie und ihre Kolleginnen „auf anderen Veranstaltungen schon mit Wortmeldungen unangenehm aufgefallen“ seien. Auf weitere kritische Fragen gab es Kopfschütteln und vereinzelte Diskussionen, wie man eine so schöne Veranstaltung stören könne.“

Sexarbeiterin Madame Kali war wie viele von uns immer ein großer Fan von Frau Wanders und fragte diese mehrmals schriftlich um Klärung. Konnte es sich um ein Missverständnis handeln? Da Frau Wanders bis heute nicht reagierte und sich mit dieser Aktion leider öffentlich an die Seite von jenen Menschen stellt, die Sexarbeitenden Rechte verwehren und unsere Möglichkeit zum Lebensunterhalt abschaffen wollen, hat Madame Kali den Berufsverband nun gebeten, ihr Schreiben öffentlich zu machen. 


Hallo Frau Wanders. 🙂

Seit gefühlten Ewigkeiten bin ich nun schon ein Fan von Ihnen. Die Aufbruchstimmung auch im deutschen Privatfernsehern war grandios und wir pflegten die freie und frivole Liebe.

Leider habe ich mich in den 1990er Jahren (noch) nicht getraut mit meiner Passion Geld zu verdienen, schließlich habe ich ja mal „anständig“ studiert und muss ja nicht mit so einen „Schmuddelkram“ wie Sex mein Geld verdienen. – Moment! – werden Sie sagen, Wieso Schmuddelkram? Die schönste Nebensache der Welt? Liebe Liebenden, und wenn es nur für eine Nacht oder ein paar Stunden ist, um Sie mal zu zitieren.

Vor ein paar Jahren nun war klar, entweder du machst es jetzt oder du wirst es auf dem Sterbebett einstweilen bereuen.
Also fasste ich mir ein Herz und wagte den Sprung in eine neue, weitere Selbstständigkeit, die der #Sexarbeit.

Es hat mich einiges an Federn gekostet, das #Hurenstigma wütet leider noch immer in unserer Gesellschaft, selbst in angeblich so liberalen Kreisen wie der schwarzen Musikszene (Metal, Mittelalter).
Nichtdestotrotz bin ich mit meinem Tantra und BDSM Wissen sowie meinem empathischen Knowhow endlich in einem Beruf angekommen der mir auch endlich finanziell aus der Armutsfalle herausgeholt hat, in der ich die ganzen Jahre zuvor steckte.

Dieser Job ist kein Zuckerschlecken, aber er lohnt sich. Und genau das ist es, was ich mit den meisten meiner Kolleg*innen auch exakt teile! Die meisten von uns sind Migrant*innen, meistens aus dem östlichen Europa und sie stellen sich genau diese Frage: Einsatz – Verdienst – Rechnung. Das tun wir Huren übrigens schon seit gefühlten Ewigkeiten.

Geändert hat sich mittlerweile das Hurenstigma von der bösen, dem Teufel oder nach der Zeit der Aufklärung dann dem Berufsverbrechertum anhängenden Dirne zum armen Opfer, welches „gerettet“ werden soll. Auch schon so eine Mission angeblicher „Feminist*innen vor 100 Jahren!

Gerettet wohin? In Fabrik Jobs? In Putz Jobs? Callcenter oder Pflege? Das sind genau die Jobs die wir NICHT mehr machen möchten, daher arbeiten wir in der Prostitution!

Die Leute, die nach dem sog. Sexkaufverbot und Freierbestrafung rufen sind im übrigens dieselben die auch rufen, daß Abtreibung illegalisiert werden soll oder daß Trans* Frauen keine Frauen seien (Grüße an dieser Stelle an Georgina Kellermann!) Können Sie sich vorstellen was mit Menschen passiert, die eine Abtreibung durchführen wollen aber alle Ärzt*innen, alle Kliniken wären auf einmal illegal und würden sich strafbar machen?

Auch die Kiez Größe Domenica Niehoff sagte schon in ihrer Biographie (Knaur, Verlag 1994) : „Es ist die Härte, mit Männern zu arbeiten. Man muss wirklich stark sein. Aber dieses Verbotene, das bringt uns auch nicht weiter. Das führt sogar so weit, daß es heute Menschenhandel gibt.“

Seit dieser Zeit ist viel passiert, auch die sog. Osterweiterung hat vieles geändert. Was sich nicht geändert hat ist die Tatsache daß es den Huren immer besser ging in den vergangenen Jahrhunderten wenn ihre Arbeit, ihrer Arbeitsorte etc legal waren und sie nicht mit Repressalien der Illegalität zu tun haben.

Wenn ich mich also ganz legal in ein Bordell einmieten kann und mich im Zweifelsfall bei (Gewalt-)Verbrechen an die Polizei wenden kann. Sei es nun daß mich ein Kunde um den Lohn versucht zu betrügen, sei es nun daß mir im Job Gewalt passiert ist, Stealthing, Erpressung oder anderes. Ich kann mich an die Polizei wenden und brauche darum eben keinen Zuhälter.

Ich war ziemlich entsetzt als ich heute morgen den Hinweis bekam daß sie sich von den Prostitutionsgegner*innen in Stade haben vereinnahmen lassen, offenbar ist Ihnen nicht wirklich bewusst was es letztendlich für die Betroffenen bedeutet was dort gefordert wird.

Ich habe zu diesem Zweck mal einen Blogbeitrag ausgearbeitet mit zahlreichen Links zu Fachleuten wie der deutschen AIDS Hilfe, Amnesty International, dem Koordinierungskreis gegen Menschenhandel, die Diakonie Deutschland uvm. die über dieses Sexkaufverbot aka NordischesModell aufklären sowie ein paar Facts zu Schweden, die dieses System seit ein paar Jahren haben: http://madamekali.de/html/freierbestrafung_schwedisches_.html

Wenn Sie tiefer in die Materie eintauchen wollen kann ich Ihnen die Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung, die interdisziplinär arbeitet auch sehr ans Herz legen: https://gspf.info/

Meine. z.T schon als Podcast fertigen Beiträge zum Thema Historik der Sexarbeit, Gesundheit und Sexarbeit etc folgen in Kürze auf meinem Blog. Denn ich möchte meine Arbeit und die meiner Kolleg*innen weiter im Lichte der Legalität wissen, daher auch mein (politisches) Engagement.

Denn Fact ist: wir können Sexarbeit nicht verbieten, wir können aber mit entscheiden unter welchen Bedingungen sie stattfindet!

Ich freue mich auf eine Rückmeldung von Ihnen!

LG

Madame Kali