Projekt Geschützter Straßenstrich – so gut funktioniert es in Zürich!

Ein Beitrag von Sexarbeiterin und Verbandsmitglied Nadine Kopp alias Bibi Drall.


Ich bin reisende Sexarbeiterin – nicht nur deutschlandweit sondern auch darüber hinaus. Wissen kann ich mir theoretisch immer aneignen, aber durch Erfahrungen und Austausch kann man vieles verändern, verbessern oder zumindest antreiben. Sprecht mit uns statt über uns lautet die Devise!

Deswegen ist es mir ein Anliegen, egal wo ich bin, Beratungsstellen aufzusuchen, mich mit anderen Sexworkern auszutauschen, mehr über die jeweiligen Strukturen zu erfahren.

Dieses Mal in Zürich fand die Beratungsstelle Flora Dora mich 😁.

Bei Streetworkerinnen am ungeschützten Straßenstrich fragte ich nach, wo das Projekt geschützter Straßenstrich in der Schweiz umgesetzt wurde und ob es die Möglichkeit gibt diesen zu sehen. Ich hatte Glück denn Flora Dora betreut diesen.

Den Strichplatz Depotweg Zürich gibt es seit 10 Jahren und er ähnelt der Gestemünder in Köln:

  • Ein diskretes Gelände, die Dienstleisterinnen haben bedachte und beleuchtete Plätze ähnlich einer modernen Bushaltestelle. Jeder kann dort arbeiten, Hauptsache Du hast eine Bewilligung und bist angemeldet.
  • Es gibt Stellplätze für Wohnmobile/Wohnwagen. Die „Verrichtungsboxen“ sind wie in Köln nur etwas moderner. Es gibt ein Sozialhaus mit sanitären Anlagen, Waschküche um auch mal Wäsche zu waschen/trocknen, eine Kleiderkammer.
  • Ein Rückzugsräumchen, eine große Wohnküche wo man sich aufhalten kann, auch was Kleines zu essen und zu trinken gibt’s immer. Immer wieder wird auch gemeinsam gekocht,  mindestens einmal in der Woche.
  • Sozialarbeiter sind immer dort, die Dir jegliche Informationen geben. Dort braucht man sich nicht schämen an die Kommode zu gehen für eine Tüte Kondome, 1000 Fragen zu stellen, sich was zu Essen und zu Trinken zu nehmen.

  • Du wirst dort vollumfänglich beraten von Bewilligung, über Steuerfragen hin zu gesundheitlichen/medizinischen Themen und sehr vielem mehr!
  • Es sind auch immer Sicherheits-Sozialarbeiter anwesend zu den Öffnungszeiten.
  • Es gibt ein Ärztezimmer, das jeden Dienstag besetzt ist, wenn man etwas hat.
  • Alle 2 Wochen kommt ein Team von der Sitte das die „Freier“ aufklärt.

Die Kooperation zwischen Behörden, Beratungsstellen und Sitte ist super (schwarze Schäfchen gib es immer, aber ist überschaubar).

Mindestens einmal im Monat sitzen alle bei einem Gespräch zusammen wo auch Sexdienstleisterinnen mit dabei sind.

Auch mein Austausch mit den dort arbeitenden Frauen war herzlich. Sie sind froh, dass es diesen Platz gibt fühlen sich sicher, geschützt und gut aufgeklärt.

Und wenn mir dort eine reife Dame sagt:

„Ich arbeite seit über 45 Jahren in diesem Gewerbe, auf vielen Strichs bin ich schon gestanden, hab in vielen Buden rumgebu…. ,  aber dieser Platz ist seit 10 Jahren der beste, denn er ist geschützt und sicher!“

– dann glaube ich ihr das!

Die Schweiz könnten uns in Deutschland als Vorbild dienen.

Sexarbeit gilt dort als normale Arbeit und daher wird es auch staatlich unterstützt, dass diese Arbeit in möglichst gutem Rahmen stattfinden kann.

Damit geht man auf die Bedürfnisse der dort arbeitenden Menschen ein, statt sie zwangsweise zu „retten“ oder ihnen das Geldverdienen verbieten zu wollen.

Auch gesellschaftlich merkt man dass die Sexarbeit hier einen anderen, normaleren Stellenwert hat und neutraler behandelt wird.

In Deutschland kommt mit Ausnahme der Kirchen kaum jemand auf die Idee, für Sexarbeits-Beratungsstellen oder andere unterstützende Räume für Sexarbeitende etwas zu spenden.

Hier beim geschützten Straßenstrich in Zürich sind es stinknormale Unternehmen, Vereine, Verbände aber auch Privatleute, die nichts mit Sexarbeit zu tun haben und trotzdem Sachspenden und kleine Geschenke vorbeibringen — Kaffee, warme Decken, mal ein Parfum oder auch Geschenke zu Weihnachten.

Ich würde mir wünschen, dass sich auch in Deutschland weiter rumspricht, wie wichtig die Förderung und Unterstützung der hiesigen Beratungsstellen für die Lebensqualität von vielen in der Branche tätigen Menschen sein kann.


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Empfehlungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Sicherheit von Sexarbeiter*innen am Straßenstrich von Straßen-Beirätin Nicole Schulze (März 2022)