Erfolgreicher Protest: Sex Worker Action Group verhindert sexarbeitsfeindliche Veranstaltungen

Mehrere Veranstaltungen von Sisters e.V., einem Verein der sich mit aller Kraft für eine Kriminalisierung von Sexarbeit einsetzt, erhielten dank zahlreicher Proteste von Sexarbeitenden keine Bühne am ursprünglich geplanten Veranstaltungsort.

Mit freundlicher Genehmigung des im Protest federführenden Berliner Kollektivs SWAG (Sex Worker Action Group) stellen wir hier ihren offenen Brief zur Verfügung.

In diesem werden ausführlich die Kritikpunkte an den geplanten Redner*innen und Vereinen samt Quellenangaben erklärt. Der Text wurde unter anderem an den geplanten Veranstaltungsort, das Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. gesendet und führte letztendlich zur Absage der sexarbeitsfeindlichen Veranstaltungen.


Datum: 27.08.2022
Betreff: Keine Bühne für Sisters e.V. im Nachbarschaftshaus Urbanstr.

Sehr geehrtes Team des Nachbarschaftshaus Urbanstr. e.V.,

mit Entsetzen und Enttäuschung haben wir erfahren, dass der sog. Sisters e.V. mehrere Veranstaltungen im August und September 2022 in ihren Räumlichkeiten abhält. Dabei wollen zahlreiche bekannte selbsterklärte „Prostitutionsgegner_innen“, einschließlich christlicher Fundamentalist_innen, Rassist_innen und Transfeinde über Sexarbeitende hinweg sprechen und für weitere Kriminalisierungen von Sexarbeit werben.

Uns ist das Nachbarschaftshaus Urbanstr. e.V. als ein Ort der Begegnung auf Augenhöhe und des gegenseitigen Respekts bekannt. Daher gehen wir davon aus, dass Ihnen die Personen und Absichten hinter dem Sisters e.V. und den Sprechenden nicht bekannt sind und möchten Sie vor einer Vereinnahmung warnen.

Der Sisters e.V. selbst ist eine Lobbygruppe gegen Sexarbeit mit dem Ziel, Sexarbeit komplett zu verbieten und zu kriminalisieren. Dabei ignorieren sie willentlich die Forderungen von Sexarbeitenden selbst sowie tatsächlichen Expert_innen wie bspw. der Deutschen Aidshilfe, Sexarbeit zu entkriminalisieren und Arbeitsrechte festzulegen. Der Sisters e.V. orientiert sich nicht an Fakten, sondern betreibt eine auf  Vorurteilen, Stigma, Angst und Hass basierte Lobbyarbeit um rechte, moralistische und autoritäre Gesetze durchzusetzen.

Dass dabei Rassismus und Migrationsfeindlichkeit eine treibende Kraft sind, bezeugt eine Aussage der Gründerin und Vorsitzenden Sabine Constabel: Als sie darauf hingewiesen wurde, dass das aktuelle Prostitutionsgesetz in Deutschland gerade auch Migrant_innen in Gefahr bringe antwortete sie kalt: „Gut, die [Migrant_innen] sollen gar nicht erst hierher kommen.“ (Quelle).

Ebenso Gründerin und Vorsitzende des Vereins ist Magdalena „Leni“ Breymaier, welche auch bei Ihnen als Sprecherin angekündigt ist. Sie hat sich über Jahre hinweg dafür eingesetzt, dass Sexarbeitende sich nicht gewerkschaftlich organisieren dürfen und somit für ihre eigenen Rechte eintreten können.

Dies zeigt, dass es dem Verein nicht um die Verbesserung der Lebensbedingungen von Sexarbeitenden geht. Breymaier hat außerdem für Schlagzeilen gesorgt, als sie 2021 gegen die Selbstbestimmung von Trans*Menschen stimmte und transfeindliche Aussagen machte. (Quelle 1, Quelle 2)

Der Sisters e.V. ist nicht nur Sexarbeitenden selbst ein Dorn im Auge, er ist auch für seine Transfeindlichkeit und seinen unterschwelligen aber durchweg präsenten Rassismus bekannt.

Die Liste der Redner_innen bei den Veranstaltungen in Ihren Räumen geht noch weiter und öffnet weitere Abgründe.

Die Gruppe FEMEN und ihre Berliner Sprecherin Klara Martens sehen (wie all die anderen Sprechenden bei diesen Veranstaltungen) alle Formen von Sexarbeit als inherent gewalttätig. Damit bevormunden sie Sexarbeitende und verhindern ein Vorgehen gegen tatsächliche Gewalt. FEMEN haben immer wieder durch unreflektierte Aussagen auf sich aufmerksam gemacht. So haben sie Sexarbeit mit dem Holocaust verglichen und diesen damit relativiert.

Vor allem nach den sexuellen Übergriffen in Köln 2015/2016 machte sich der Verein FEMEN zunehmend durch (anti-muslimischen) Rassismus bemerkbar und biederte sich in der deutschen Rechten an. So behauptete die Gründerin Zana Ramadani, dass eine Ursache für sexuelle Gewalt eine mangelnde Integration von Geflüchteten sei. Alexandra Schewtschenko, ebenso Gründerin von Femen, nennt das Tragen von Kopftüchern im Islam eine „Religionsfolter“ und „vergleichbar mit einem „Konzentrationslager“. Frauen die ein solches tragen wären „Sklaven“(Quelle).

Zana Ramadani ist auch Autorin in dem rechtsextremen Blog „Achse des Guten“ (Quelle).

Wie passt eine solche Gruppe in das Nachbarschaftshaus Urbanstr., welches in Kreuzberg in Zusammenarbeit und Nachbarschaft mit einer alteingesessenen muslimischen Gemeinschaft existiert und für gegenseitigen Respekt wirbt?

Gerhard Schönborn ist Vorstand und Gründer des „Neustart – Christliche Lebenshilfe e.V.“ sowie des „Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.“. Beides sind Vereine mit dem Ziel der „Abschaffung der Prostitution“ mit christlich-fundamentalistischen Mitgliedern und Motivationen.

Sexarbeiterinnen auf den Straße Schönebergs berichten immer wieder davon, dass sie von den „Street Workers“ des Neustart e.V. belästigt und missioniert werden sollen. Eine vermeintliche Hilfe durch den Verein wird daran gebunden, dass die Frauen mit der Sexarbeit sofort aufhören und zum christlichen Glauben kehren müssen. Doch echte Hilfe wäre bedingungslos!

Es gibt auch Berichte von Frauen, die durch Begegnungen mit Neustart e.V. traumatisiert wurden. Der Verein verfolgt ein ähnliches Prinzip wie der verbundene evangelikale Verein „Mission Freedom“, welcher ebenso Teil des Netzwerkes „Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.“ ist. Dabei sollen betroffene Frauen in (vermeintlicher) Not angesprochen und unter Vorwand der Hilfe isoliert werden – teils in entlegenen Landhäusern. Dort werden sie einer Gehirnwäsche unterzogen, zu Christen bekehrt und dann als „Aussteigerin“ und Vorzeige-Opfer für die eigene Agenda missbraucht (Quelle ARD-Dokumentation).

Das LKA Hamburg hat in der Vergangenheit von einer Zusammenarbeit mit dem Verein abgesehen bzw. sogar gewarnt und aufgrund von Falschbehauptungen des Vereins ermittelt.

Der Neustart e.V. rekrutiert unbezahlte Arbeitskräfte aus christlichen Sekten wie dem „Alabaster Jar e.V.“ Der Verein „Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.“ ist ein Netzwerk aus christlich-fundamentalistischen Gruppen wie der „Heilsarmee“, „Crown Bridge“, „Deutsche Evangelische Allianz“, „Bibelgesellschaft“, „Haus Gottes e.V.“ und selbst „Mission Freedom e.V.“(Quelle).

Die Gemeinsamkeit ist die Ausschlachtung des emotional aufgeladenen Themas „Menschenhandel“ mit dem Ziel, religiöse und autoritäre Politik zu stärken und fundamentalistische Werte in der Gesellschaft zu verbreiten.

Die vermeintlichen Aussteiger_innen aus der Sexarbeit sammeln sich häufig in Gruppen wie dem „Netzwerk Ella“, welches mit oben genannten Gruppen verbunden ist und ebenso in Ihren Räumlichkeiten auftreten soll. Diese Gruppen werden häufig als „Vorzeigeopfer“ benutzt und sollen dazu dienen, vermeintlich Betroffene zu Wort kommen zu lassen. Jedoch gibt es quasi nie Beweise für die tatsächliche Betroffenheit. Manuela Schon aus dem „Netzwerk Ella“ ist auch Betreiberin des transfeindlichen Blogs „Die Störenfriedas“ und vielen bekannt als aggressive Befürworterin der „Abschaffung von Prostitution“ und verschärfter Kriminalisierung.

Seit Jahren wird von aktiven Sexarbeitenden kritisiert, dass sie in den Diskussionen nicht zu Wort kommen oder ihnen nicht zugehört wird. Tatsächlich fordern Sexarbeitende weltweit die Entkriminalisierung und Festschreibung von (Arbeits- und Migrations-)Rechten. Von den „Prostitutionsgegner_innen“ werden Sexarbeitende, die sich für ihre Rechte aussprechen, als „Zuhälterlobby“ verunglimpft und mundtot gemacht.

Die „Prostitutionsgegner_innen“ sind nicht an lautstarken Betroffenen interessiert. Für ihre Politik brauchen sie stumme und gesichtslose Opfer, an deren Stelle die Vereine sich vorgeben einzusetzen. Tatsächliche Organisation von Sexarbeitenden selbst, welche sich für die Rechte und die Verbesserung der Bedingungen von Sexarbeit einsetzen, sind u.A. allein in Berlin:

* Sex Worker Action Group
* Freie Arbeiter*innen Union Berlin – Sex Worker Section
* Black Sex Worker Collective
* TransSexWorks
* Berlin Stripper Collective
* Hydra e.V.

Mit Sexarbeitenden reden, anstatt über sie! Wir fordern Sie dringend dazu auf, die Veranstaltungen des Sisters e.V. abzusagen! Diese Veranstaltungen passen nicht zu dem Profil und den Zielen des Nachbarschaftshaus Urbanstr. und wir hoffen, dass Sie nun besser informiert sind und von einer weiteren Zusammenarbeit mit den
Beteiligten absehen.

Geben Sie Verschwörungstheorien, religiösem Fundamentalismus und Hass auf Sexarbeitende, TransMenschen, Muslimen und Migrant_innen keine Bühne! Laden Sie den Sisters e.V. jetzt aus!

Wir bitten um eine schnellstmögliche Antwort und Stellungsnahme.