Anhebung der Altersgrenze auf 21 – Argumente dagegen

Nicht jedes Konzept, das in der Theorie gut klingt, funktioniert auch in der Wirklichkeit. Genau das gilt auch für die Anhebung der Altersgrenze für Prostituierte. In der Entstehung des ProstitutiertenSchutzGesetzes 2014  fragte das Familienministerium, ob ein Mindestalter von 21 Jahren für Prostituierte vorgeschrieben werden sollte. Die vollständigen Antworten aller Expert*innen aus insgesamt 8 Perspektiven sind hier nachzulesen.

Während sich die befragten Ministerien uneinig waren, befürworteten alle befragten Stellen der Polizei eine Altersanhebung.

Dem gegenüber steht die deutliche Ablehnung einer Altersanhebung von folgenden Seiten. Sie vertreten die Auffassung, dass eine Anhebung der Altersgrenze auf 21 mehr Gefahren für junge Sexarbeiter*innen erzeugt, als dass sie Schutz bringt.

  • Beratungsstellen, die direkt mit Sexarbeiter*innen zusammenarbeiten
  • Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel
  • Stellen für die gesundheitliche Unterstützung für Menschen in der Prostitution
  • Interessensvertretungen von Sexarbeiter*innen

Auch wir als Berufsverband und Interessensvertretung für Sexarbeiter*innen in Deutschland wurden befragt und haben Antwort gegeben: Eine Anhebung der Altersgrenze auf 21 Jahre geht an der Lebenswirklichkeit in der Sexarbeitsbranche vorbei.

Junge Erwachsene mit einem dringenden Verdienstbedürfnis warten mit dem Einstieg in die Sexarbeit nicht bis zum 21. Lebensjahr. Durch ein Verbot bleibt genau diesen lebensunerfahrenen Menschen der Zugang zu sicheren Arbeitsplätzen und der dortige Austausch mit erfahreneren Kolleg:innen verwehrt. Sie werden stattdessen in die Kriminalität gedrängt und gezwungen, an Orten zu arbeiten, an denen sie Gefahren schutzlos ausgeliefert sind. Ein illegaler Status macht es ihnen unmöglich, sich gegen Unrecht zur Wehr zu setzen.

Die im §232 Abs. 1 Satz 2 StGB formulierte Altersgrenze von 21 Jahren führt bereits jetzt dazu, dass ein nicht geringer Teil der Betroffenen von Menschenhandel in der BRD deutsche Staatsbürger sind. Diese werden ausschließlich deshalb als Opfer geführt, weil sie zwischen 18 und 21 Jahren alt sind –  ohne dass irgendeine Form von Ausbeutung oder Gewalt vorliegen muss.

Eine rechtliche Gleichbehandlung mit anderen Berufen, auch in Hinblick auf Schutzaltersgrenzen, ist das beste Mittel, um die Entstigmatisierung der Sexarbeit voranzutreiben.


Es folgen Ausschnitte aus jenen Stellungnahmen, die sich in der Anhörung gegen eine Anhebung der Altersgrenze aussprechen:

Beratungsstellen für Sexarbeiter*innen


Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter e.V.:

Was möglicherweise als Schutz für eine besonders verwundbare Gruppe gedacht ist, führt hier zu besonderen Risiken für Personen dieses Alters. Junge Erwachsene, die sich – oft aus prekären Lebenslagen ‐ für die Prostitution entscheiden, werden sich von einem Verbot nicht abschrecken lassen. Betreiber:innen von Prostitutionsstätten würden ihnen in Anbetracht eines strafbewehrten Verbotes sicher keine Arbeitsplätze anbieten. Damit bliebe genau diesen relativ lebens‐ und rechtsunerfahrenen Menschen der Zugang zu sicheren Arbeitsplätzen verwehrt und so auch die Möglichkeit, sich mit erfahrenen Kolleg:innen auszutauschen und von ihnen zu lernen. Sie wären erheblichen Risiken ausgesetzt und würden sich aufgrund ihres illegalisierten Status nicht gegen Übergriffe und Gewalt wehren.

Dortmunder Mitternachtsmission e.V:

Eine Heraufsetzung des Mindestalters auf 21 Jahre sollte nicht vorgeschrieben werden. Es ist zu befürchten, dass unter 21jährige dann in besonders riskanten und ungeschützten Bereichen arbeiten würden, wenn sie sich für die Prostitution entscheiden, z.B.Straßenstrich, und so eher Opfer von Ausbeutung und Gewalt werden. Daher sind wir für eine Schutzaltersgrenze von 18 Jahren.

Projekt Nachtfalke der AIDS‐Hilfe Essen e.V.:

Wir sind der Auffassung, dass aus der Implementierung eines Mindestalters von 21 Jahren keine Verbesserung für die Zielgruppe resultieren würde. Vielmehr befürchten wir, dass es die betreffenden Menschen in die Illegalität drängen würde. Für die soziale Arbeit wären selbige zu dem schlechter erreichbar, ihre Arbeitsbedingungen würden sich in unsichere Rahmenbedingungen verlagern. Bereits aus den Erfahrungen in unserem stationären Jugendhilfebereich für Jungs mit Lebensbezügen zur mann‐männlichen Prostitution (Jungen‐WG‐Nachtfalke) wissen wir, dass der Fokus der Ausstiegsorientierung in der Arbeit mit Minderjährigen vielfach nur sehr schwer umsetzbar ist: So erfolgt unsere Hilfestellung immer unter dem Vorhaben, mit den jungen Menschen Alternativen zu erarbeiten und sie in bestehende Systeme (Schule etc.) zu reintegrieren. Vielfach sind ihre Biografien aber schon so eng mit der Prostitutionsszene verwoben, dass eine Herauslösung eine große Hürde im Hilfeprozess darstellt. Würden unsere Mitarbeiter ihre Lebensrealität ignorieren oder sanktionieren, würde dies zu einem Abbruch führen. Für Prävention und sozialarbeiterische Hilfestellungen wären sie nicht mehr erreichbar.

Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel


Diakonie Deutschland:

Aus Sicht der Beratungspraxis mit Mädchen und jungen Frauen würde die Definition eines Mindestalters ab 21 Jahre für die Ausübung der Prostitution im Gewerbe zwar einen gewissen Schutz vor Ausbeutung bieten, gleichzeitig aber die Aktivitäten im Dunkelfeld erhöhen. Aufgrund der hohen Nachfrage – besonders auch bei jungen Frauen – besteht die Gefahr der Kriminalisierung der Betroffenen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass von dieser Altersbegrenzung viele Migrantinnen betroffen wären, bei denen einerseits die Feststellung des Alters ein Problem darstellt und die andererseits in besonderen familiären Zwängen verhaftet sind. Insgesamt ist es pädagogisch sinnvoller, sensibilisierende und präventive Angebote – speziell auch für junge Frauen und Männer zu schaffen – die die Verstetigung in der Prostitution und der sexualisierten Ausbeutung vorgreifen.

Sozialdienst katholischer Frauen:

Fakt ist, dass es jüngere Frauen in der Prostitution gibt und geben wird, beispielsweise wegen Drogenkonsums. Sie würden mit erheblichen Nachteilen weiter in die Dunkelzone getrieben. Da die Nachteile, für in der Prostitution Tätige, die jünger als 21 Jahre sind, wahrscheinlich nicht auszuräumen sind, spricht der SkF sich zunächst nicht für eine solche Altersgrenze aus.

Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.:

Erfahrungen aus der Praxis zeigen z.B., dass ein Problem oft in den fehlenden Alternativen liegt oder Frauen bereits als Minderjährige in die Prostitution kommen. Hier wäre es effektiver, z.B. Jugendämter zu schulen, da diese eventuell bereits mit betreffenden Familien/Jugendlichen in Kontakt stehen. Auch Angebote, die Alternativen aufzeigen, könnten ausgebaut werden. (…) Generell bleibt fraglich, ob die Einführung eines Mindestalters Schutz vor Menschenhandel und Ausbeutung bieten würde oder ob hier nicht andere Maßnahmen aus pädagogischer Sicht, wie z.B. Beratung, Aufklärung, Alternativangebote, zunächst sinnvoller wären. Zudem könnte überlegt werden, ob bei Einführung einer Erlaubnispflicht durch die Einhaltung der Standards die Verantwortung zum Schutz von Prostituierten unter 21 Jahren z.B. beim Betreiber liegen würde.

Ministerien und Behörden


Berlin | Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen:

So lange es für diese Heranwachsenden keine realistischen Alternativen gibt, würde ein Prostitutionsverbot für Unter‐21‐Jährige aus hiesiger Sicht den Einstieg nicht verhindern, sondern diese besonders schutzbedürftige Gruppe junger Menschen in ungeregelte Bereiche der Prostitution abdrängen, wo sie eher Gefahr laufen, von Gewalt, Ausbeutung etc. betroffen zu sein. Daher wird präventiven und unterstützenden Maßnahmen der Vorzug gegeben.

Hamburg | Behörde für Arbeit Soziales, Familie und Integration:

Mit der Definition eines Verbots besteht zumindest auch immer die Gefahr der Kriminalisierung der Betroffenen. Statt eines Verbots zwischen 18 und 21 Jahren könnten insoweit – auch vom Bund geförderte ‐ präventive Angebote – speziell für junge Frauen, aber auch Männer – sinnvoll sein. Ob zudem allen volljährigen Frauen zwischen 18 und 21 die Reife abgesprochen werden kann, ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und den eigenen Körper auszuüben, bedarf der weiteren fachlichen Erörterung. In keinem Fall dürfte eine Regelung getroffen werden, die Prostituierte unter 21 Jahren sanktioniert. Es muss im Zweifel der Beschäftigungsgeber im Fokus von Sanktionen stehen.

Sachsen-Anhalt | Ministerium für Justiz und Gleichstellung:

Die Volljährigkeit beginnt mit dem 18. Lebensjahr, ab diesem Zeitpunkt darf eine Frau eigenständig entscheiden, ob sie tatsächlich gewillt ist, derartige Dienstleistungen anzubieten.

Schleswig-Holstein | Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung:

Der Schutz Heranwachsender in der Prostitution, d.h. die Erhöhung des Mindestalters auf 21 Jahre, wird nicht unterstützt. Dies würde dazu führen, dass Prostituierte unter dieser Altersgrenze nur der Weg in die Illegalität und damit in die Kriminalität bliebe. Außerdem sieht der § 232 StGB bereits eine Bestrafung für denjenigen vor, der eine Person unter 21 Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zwingt.

Deutscher Städte- und Gemeindebund:

Vor dem Hintergrund, dass nach Meldungen aus der Praxis immer mehr auch minderjährige Frauen aus Ost- und Südosteuropa aus wirtschaftlichen Gründen heraus in Deutschland der Prostitution nachgehen, stellt sich allerdings die Frage, ob die Heraufsetzung des Mindestalters ein wirksames Gegenmittel ist.

Bundesverbände und Gewerkschaften


Deutscher Frauenrat e.V.:

Es ist nicht nachzuvollziehen, warum Volljährige zahlreiche andere, ihre Zukunft beeinflussende Entscheidung (z. B. die Entscheidung für das Einsetzen von Brustimplantaten oder die Entfernung der Gebärmutter) treffen können sollen, diese aber nicht. Zudem ist nicht anzunehmen, dass ein:e 18jährige:r , die unbedingt als Prostituierte:r arbeiten will, sich von einem solchen Verbot wirklich abhalten lässt und ggf. in der Illegalität mit allen damit verbundenen Gefährdungen arbeitet. Der Deutsche Frauenrat sieht aber, dass die Altersgruppe der 18 – 21jährigen besonders verletzlich ist und fordert deshalb die Vorhaltung eines entsprechenden Beratungsangebots.

Aus dem Bereich Gewerbe- und Ordnungsrecht


Dortmund | Gewerbeabteilung des Ordnungsamtes:

Aus hiesiger Sicht ist – auch mit Blick auf die Anpassung der für die Berufsausübung von Prostituierte geltenden Rahmenbedingungen an die für alle anderen Berufsfelder geltenden Regelungen – eine Vereinheitlichung auch der strafrechtlichen Schutzaltersgrenzen auf die Volljährigkeit, d. h. 18 Jahre, wünschenswert.

Stellen zur gesundheitlichen Unterstützung für Menschen in der Prostitution


Deutsche AIDS-Hilfe e.V.:

Die Sonderregelung für 18 bis 20 Jährige im Bereich der Prostitution war als Schutz für eine besonders vulnerable Gruppe gedacht. Dies führt jedoch eher zu erhöhten Risiken. Der Zugang zu sicheren Arbeitsplätzen in festen Häusern ist dadurch nicht möglich. Es bleibt als Alternative die Arbeit auf dem Straßenstrich. Sie birgt bekanntlich mehr Risiken, insbesondere für Personen mit geringen Erfahrungen in der Prostitution.  Zudem würde die Erreichbarkeit für Präventionsangebote weiter erschwert.

Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e.V.:

Der BVÖGD ist nicht der Auffassung, dass ein Mindestalter für eine Tätigkeit in der Prostitution vorgeschrieben werden sollte. Die Altersgrenze von 21 Jahren ist willkürlich und basiert nicht auf hinreichend begründbaren Erkenntnissen aus den Bereichen der Präventivmedizin und Soziologie.

Köln | Gesundheitsamt Fachdienst STI und sexuelle Gesundheit:

Nein. Diese Altersgrenze ist völlig willkürlich. Junge Frauen und Männer benötigen zwar oft besondere Unterstützung. Alle Erfahrungen der Prävention und der sozialen Arbeit zeigen jedoch, dass durch ein Verbot und die damit verbundene Anzeigepflicht für Beratungseinrichtungen der Zugang genau dieser Gruppe zu Beratung und Unterstützung erheblich erschwert würde.

Juristische Perspektive


Rechtsanwältin Dr. Margarete Gräfin von Galen:

Eine Heraufsetzung des Mindestalters auf 21 Jahren widerspricht unserem Grundgesetz und ist allein daher abzulehnen. Wieso sollen Menschen ab 18 volljährig und geschäftsfähig sein, um Verträge abzuschließen, einen Beruf, auch den des Soldaten zu wählen und seine Staatsvertreter zu wählen – aber nicht in der Lage sein, sich für oder gegen die eigene Sexarbeit zu entscheiden? Dies bietet auch keinen Schutz – im Gegenteil: die Folge wäre ein Verstecken und Arbeiten der unter 21-jährigen in unsicheren Situationen. Die Erfahrungen mit den Regelungen in § 232StGB haben auch nicht den erwarteten Schutz gebracht, sondern nur eine weitere Stigmatisierung der Branche. Wichtig in diesem Zusammenhang sind allerdings eine Professionalisierung und ein Ausbau von Informations- und Beratungsstellen mit entsprechenden Ressourcen.