Zur Solidarität in der Krise: Wie es Sexarbeiter*innen „wagen können“, nach Spenden zu fragen

Leider lässt sich in den jetzigen Tagen neben einem mancherorts etwas hohlen Verständnis von Solidarität – Stichwort: Applaudieren vom Balkon aus  – auch dezidierte Anti-Solidarität beobachten: Die Medienberichte rund um den BesD Nothilfe Fonds  – und die Bitte um Spenden für prekarisierte Kolleg*innen – sorgen in den sozialen Medien nicht nur für Zuspruch. Ebenfalls reichlich vorhanden sind: Ablehnung, Zynismus, Spott, Hass. In viel zu vielen Kommentarspalten muss ich lesen, wie der Hilfsfonds beziehungsweise das Spenden an notleidende Sexarbeitende von Nicht-Sexarbeitenden bagatellisiert werden und Betroffenen ihre Not abgesprochen wird.

Ein solches hasserfülltes Verhalten ignoriert jedweden Sachverhalt und Umstand, der Menschen in die Armut und teilweise auch illegale Arbeit zwingt. 

In Zeiten von Corona sind die allermeisten Menschen verschiedenen Problemen ausgesetzt. Sei es finanziell, psychisch oder existenziell. Ein Schicksal, das den Großteil der Bevölkerung trifft. Warum sollten also grade Sexworker Spenden erhalten, wo sie doch bei Weitem nicht die Einzigen sind, die unter der Situation leiden? Dafür muss man sich zunächst anschauen, wer in der Sexarbeit tätig ist. Auffällig ist die krasse Vielfalt und Diversität an Menschen und auch Dienstleistungen. Das Spektrum ist riesig und eine Pauschalisierung über die gesamte Branche unmöglich. Im Kontext der Krise sticht aber besonders ein Punkt hervor:

Es gibt ein immenses Gefälle zwischen privilegiert Arbeitenden und marginalisierten Sexworkern.

Es gibt einige Huren, die im höherpreisigen Segment arbeiten und viel Geld verdienen. Diese sind meist angemeldet, haben eine Steuernummer, eine Wohnung, eine akademische Bildung, vermutlich sogar finanzielle Rücklagen und vor allem die Möglichkeit, staatliche Unterstützung zu beantragen. Daneben gibt es aber auch eine Menge Menschen, die die Arbeit mit weniger Privilegien durchführen. Diejenigen, die keine Möglichkeit haben sich anzumelden, kaum Deutsch sprechen, keine Alternative auf dem Arbeitsmarkt haben. Daran sind nicht sie Schuld, denn sie versuchen nur, ihre Existenz (und möglicherweise die ihrer Kinder) zu sichern.

Aufgrund menschenfeindlicher Migrationsgesetze und einem ausbeuterischen Niedriglohn-Sektor in einem kapitalistischen Nationalstaat sind sie darauf angewiesen, eine Arbeit zu finden, die sie auch mit ihren gegebenen Voraussetzungen finanziert.

Wir sprechen hier also von einer systematischen Marginalisierung von Menschen, die selbst keine Schuld an ihrer Armut haben. Sie versuchen lediglich, in einem ausbeuterischen System, welches zuverlässig Elend und Armut produziert, zu überleben. Wer diesen Menschen ernsthaft einen Vorwurf macht und sie verantwortlich für ihre Lage macht, kann nur verblendet oder menschenfeindlich sein. Sexarbeitende werden auf ganzer Strecke im Stich gelassen, systematisch diskriminiert und schikaniert. Wie so oft gilt: eine ganzheitliche Betrachtung ist nötig, um sich eine fundierte Meinung über einen Sachverhalt erlauben zu können.

Darüber hinaus ist es ein Armutszeugnis für einen sogenannten „Sozialstaat“, dass Sexworker eigenständig einen Nothilfe-Fonds gründen müssen, um zumindest einen Teil des Elends abzufangen, das der Staat produziert.

Wer den Willen und die Möglichkeit hat zu helfen, findet alle Infos und die Kontodaten für unseren gerade in der jetzigen Krise sehr notwendigen Nothilfe-Fonds HIER.


Dieser Blog-Beitrag stammt von Sexworker und BesD-Mitglied Lou Violencia.

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