Safe is scary – Huren stehen im Regen

Dieser Blogbeitrag stammt von Kristina Marlen:

Heute tritt das Prostituierten”Schutz”Gesetz in Kraft. Gedanken an einem traurigen Tag.

Vor etwas mehr als einer Woche war ich eine der glücklichsten Sexarbeiterinnen Deutschlands. Ich war Teil der „SexClinic“, einer Performance von Dr. Annie Sprinkle und Beth Stephens auf der Documenta in Kassel.

In der „Free Sidewalk Sex Clinic“ geben Sexratgeber*innen freie Beratung an das geneigte Publikum. Alle können kommen und dieses Angebot in Anspruch nehmen. Qualifizierte Ratgeber*innen sind zum Beispiel: Sexualpädagog*innen und -therapeut*innen, Pornodarsteller*innen, selbsternannte Heiler*innen, Stripper*innen, Dominas und andere Sexarbeiter*innen. Es handelt sich also um einen sehr breites Verständnis von „Expertise“ zum Thema Sex.
Eigentlich sollte die Aktion im Freien stattfinden, direkt vor dem sehr prominenten „Parthenon der verbotenen Bücher“, an dem Ort, an dem 1933 zensierte Bücher von den Nazis verbrannt wurden. Ein performativer (Sprech-) Akt der Befreiung, ein Kraftakt wider die Zensur.

Letztendlich fand wegen Gewitterwarnung die SexClinic im Inneren statt, im Fridericianum im „Parliament of Bodies“ – und der Ort, an dem sich einst ein totalitäres Regime versammelte und seine Beschlüsse verabschiedete, wandelte sich für drei Stunden in einen Raum, in dem frei, offen und voller Neugier über Sexualität verhandelt werden konnte.
Menschen kamen, hunderte, keine*r von uns hatte fünf Minuten Pause, so groß war der Bedarf der Besucher*innen, frei über Sex zu sprechen, zu fragen, sich mitzuteilen. Das Forum des Fridericianums wurde zu einem Ort intimer Interaktion.

Ich könnte mich fast berauschen an diesen Akten der Fortschrittlichkeit, und zurück in Berlin wird wenige Tage später in einer Art sintflutlichem Überraschungsakt die Ehe für alle entschieden. Von Gegnerinnen als „Sturzgeburt“ kritisiert – ein passender Ausdruck für diese Mischung aus Wasserfall, der vom Himmel kam und innerer Erneuerung, die sozusagen sturzhaft auch konservative Ressentiments mit sich riss.
Ein Regenbogen hätte am 30. Juni diesen Jahres über Berlin erscheinen müssen, im unschuldigen Morgenlicht, rein und klar und von den Gött*innen der (LGBTIQ*) Befreiung gesandt, nachdem sie Berlin mit Überschwemmung gedroht hatten. Menschen fielen in Gullis, Lastwagen schwammen davon, Keller wurden geflutet und Kühe ertranken um Berlin – nur damit endlich auch Homos heiraten dürfen.

Wir haben es geschafft!

Ja, es gäbe etwas zu feiern, und ich würde es auch tun, wenn nicht in Berlin statt des Regenbogens über dem Bundestag immer noch Regen herabfiele, keine reinigend kathartische und spektakuläre Flut, sondern ausdauernd, nachhaltig nässend und überaus nervig, und in eben diesem Regen stehen ein paar ganz Widerständige, die, die nicht klein zu kriegen sind, mit ihren roten Schirmen, und protestieren gegen die Welle des Backlashs. Der erzkonservative Rollback erwischt uns eiskalt und klatschnass, und wir stehen da mit aufgerichteten Brustwarzen und Plakate tragend auf High Heels in Pfützen.

Sexarbeiter*innen protestieren auf verlorenem, durchnässtem Posten gegen das ProstitutionsSCHUTZgesetz, das am 1 Juli in Kraft tritt. Die roten Schirme, das Symbol der Hurenbewegung, gibt uns mehr Schutz vor dem Wetter als vor dem vernichtenden Gesetz mit dem irreführenden Namen.
Dass das Gesetz dieser Tage in Kraft tritt, geht an der Öffentlichkeit vorbei. Einzig in den eigenen Reihen bricht auf einmal Unruhe aus und ich erhalte täglich aufgeregte Nachrichten von Kolleginnen: was heißt das jetzt? Ich muss mich anmelden? Mit meinem echten Namen? Soll ich das wirklich machen? Was passiert, wenn ich es nicht mache? Was passiert mit meinen Daten? An welche Stelle muss ich mich denn wenden? Und wer führt diese Gesundheitsberatungen durch? Was wissen die dann von mir? Wirst du Dich anmelden?

Diese Kolleg*innen sind: Tantramasseur*innen, Escorts, Dominas, Bizarrladies, Prostituierte.

Sie sind ansonsten Fitnesstrainer*innen, Ehefrauen, Student*innen, arbeitslos, in Ausbildung, haben Kinder, sind Büroangestellte, Übersetzer*innen, Künstler*innen.

Ich weiß nicht Antwort auf alle Fragen. Ich weiß nur eines: Während in Deutschland eine marginalisierte Gruppe einen Erfolg feiert, erlebt die andere einen Backlash und gerät in eine rechtliche Zeitschleife auf das Niveau der 1930er Jahre.
Sexarbeiter*innen sind das neue LGBTIQ* – weiter geht es in den erbitterten Auseinandersetzungen um die Frage, welche Sexualität(en) wir als legitim erachten, wenn sie nicht der Reproduktion dienen, welche sexuellen und welche Sprech-Akte stattfinden dürfen und durch wen legitimiert, wer wem Rechenschaft ablegen muss, wer kontrolliert, katalogisiert, erfasst, reglementiert und limitiert wird und von wem.

Ab heute müssen Sexarbeiter*innen sich registrieren lassen, mit ihrem bürgerlichen Namen und in allen Gemeinden, in denen sie arbeiten oder in Zukunft arbeiten werden. Deutschland hat dann das ersten Mal seit dem Naziregime wieder eine „Hurenkartei“. Für alle, die sich nicht anmelden können oder wollen, sei es wegen eines prekären Aufenthaltsstatus, aus Angst vor Behörden oder wegen der Unmöglichkeit, sich zu outen (Familie, Kinder, Beruf), bedeutet das den Entzug der finanziellen Lebensgrundlage. Oder: den Gang in die Illegalität- und damit in einen gänzlich ungeschützten und rechtsfreien Raum.

Obwohl es bereits kostenfreie und anonyme Beratungen gibt, die auch genutzt werden, werden nun verpflichtende Gesundheitsberatungen eingeführt und den sogenannten „Hurenausweis“ – den die betroffene Person bei der Arbeit immer mit sich führen muss. Ein solcher Ausweis ist stigmatisierend und gefährdet ihre Besitzer*innen, denn er kann jederzeit dazu führen, dass die berufliche Tätigkeit der Person unfreiwillig sichtbar wird.
Bordellbetreiber*innen sind angehalten, ihre Mitarbeiter*innen zu kontrollieren, alle Schritte regelgerecht einzuhalten. Das heißt, es ergibt sich auch hier ein Zwang zur persönlichen Offenbarung.

Es wird eine Erlaubnispflicht für Bordellbetriebe geben und massiv höhere Auflagen. Sie dürfen sich nicht mehr in Wohngebieten befinden und es gibt erschwerende bauliche Voraussetzungen. Für viele kleinere Bordelle bedeutet dies aus finanziellen Gründen das Aus. Doch sind es gerade diese Bordelle, die oft von Frauen geführt werden oder ein Zusammenschluss von Sexarbeiter*innen sind. Für die Großbordelle hingegen dürfte es kein Problem darstellen, die Auflagen zu erfüllen.
Hinzu kommt: Im Prostitutions“Schutz“Gesetz ist die Kondompflicht festgelegt. Unklar, wie diese kontrolliert oder durchgesetzt werden soll, ist sie zunächst einmal eine haarsträubende Entmündigung und ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung.

Man muss nicht Foucault bemühen um zu konstatieren:

Das neue ProstitutionsSchutzGesetz ist Scheiße.

Es verletzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es diskriminiert. Es stigmatisiert. Es bringt Sexarbeiter*innen in gefährliche Lebenslagen. Es entzieht vielen die finanzielle Grundlage oder zwingt sie in die Illegalität. Es ist migrationsfeindlich und rassistisch. Es ist sexualrepressiv. Es verletzt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Es ist einfach mal wirklich das Allerletzte. Es ist ein Rückschritt, es ist ein Schlag ins Gesicht einer stigmatisierten Gruppe, zu deren Alltag ohnehin Gewalterfahrungen gehören.

DANKE FÜR NICHTS, würde ich an dieser Stelle an einem Rednerpult ungehalten schreien, würde irgendwer Sexarbeiterinnen im Bundestag anhören.
Meine Hoffnung, dass dies jemals der Fall sein könnte, ist unter den Nullpunkt gesunken; etwa auf Höhe unseres überschwemmten Kellers.

Die Motivation der Huren und ihrer Unterstützer*innen befindet sich zur Zeit ebenfalls auf diesem Pegel. Seit Jahren kämpfen wir uns ehrenamtlich die Seele aus dem Leib, stets neben unserer nicht immer einfach strukturierten selbstständigen Erwerbstätigkeit, zum Teil mit Doppelleben und auf die Gefahr hin, in der „Emma“ zwangsgeoutet zu werden.
Gegen das Gesetz haben sich nicht nur die Hurenorganisationen und Beratungsstellen ausgesprochen, sondern auch die Deutsche Aidshilfe, der Deutsche Frauenrat, der Deutsche Juristinnenbund, die Gesellschaft für STI und die Gesundheitsämter – alle haben Stellungnahmen abgegeben, aus denen hervorgeht, dass das Gesetz keine Maßnahme enthält, die die Lebensbedingungen von Sexarbetier*innen verbessert. Keine.
„Warum dann?“ werde ich gefragt. Als hätte ich das Gesetz erlassen. Dummheit? Unkenntnis? Fang nach Wähler*innenstimmen? Angst?

Angst halte ich für einen validen Grund. Angst macht irrational, das ist oft so. Das Prostituiertenschutzgesetz ist ein Bollwerk der bürgerlichen Gesellschaft gegen Eindringlinge, gegen störende Objekte. Lose Dinger, sexuell freizügige Weibsbilder, Schlampen, Migrant*innen, Fremde. Ängstliche, ahnungslose Intellektuelle schreiben beleidigende Bücher über das „Rotlicht“ und die Menge, die sich gern gruseln will, kauft und geifert geil. Das Bürgertum bemitleidet pflichtbewusst die Zwangsprostituierten und gibt sich ansonsten liberal.

Dass hier im Gewande des Schutzes wieder einmal ein Eingriff in die Grundrechte stattgefunden hat, dass wieder einmal sexuelles Anderssein geahndet wird, in einen Dschungel der Ordnungswidrigkeiten verbannt, weit, weit weg vom sauberen, sicheren bürgerlichen Selbstverständnis, das bleibt getarnt.
Prostitution, das hat nichts mit uns zu tun, das sind „die Anderen“. Es sind nicht unsere Männer, die ins Bordell gehen, und es sind nicht unsere Kolleg*innen, Kommiliton*innen, Geschwister, Mütter und Freund*innen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten.
Sexarbeit findet in der Mitte der Gesellschaft statt. Das darf nicht wahr sein, um keinen Preis.
Deshalb brauchen wir „Schutz“.

Dass Annie Sprinkle und Beth Stevens mit ihrer Arbeit auf der Documenta sein konnten, ist ein Politikum. Es bedeutet eine Anerkennung ihrer Arbeit als Künstlerinnen, aber es greift darüber hinaus auch die Frage auf, wie offen, wie explizit und wie direkt die Kommunikation über Sexualität in unseren Gemeinschaften sein darf. Welche Bilder, welche Filme, welche Worte, welche Praktiken, welche Berührungen , welche Dialoge erachten wir als legitim und wo? In welchen Räumen ist was erlaubt und wer darf sprechen?
Auf der Documenta ist dieses Jahr über dem Eingang des Fridericianums der Schriftzug ersetzt worden. Wenn man hinein möchte in das „Parlament der Körper“, dort, wo sonst in Stein gemeißelt „Fridericianum“ steht, liest man nun in gleicher Schrift:

„Being safe is scary“.

Man fragt sich, ob der Künstler vom Prostitutionsschutzgesetz gewusst hat.

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Danke für die Unterstützung bei der Arbeit am Text: K.M. und Mithu Melanie Sanyal