Stellungnahme und Alternativ-Vorschläge des BesD zum neuen Eckpunktepapier

Stellungnahme und Alternativ-Vorschläge
des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen
zum den von der CDU/SPD beschlossenen Eckpunkten eines Gesetzes
zum Schutz der in der Prostitution Tätigen
(Prostituiertenschutzgesetz, ProstSchG)

 

Wir begrüßen, dass sich die Bundesregierung für die Belange der in unserer Berufsgruppe Tätigen aussprechen möchte. Die bisherigen Arbeitsergebnisse des angedachten „Prostituiertenschutzgesetzes“ schaden uns allerdings weit mehr, als sie nützen.
Unser Berufsverband spricht sich für eine nachhaltige und sinnvolle Gesetzgebung aus. Vor dem Hintergrund der Komplexität unseres Themenfeldes warnen wir dringend vor übereilten Entscheidungen.

 

Bundesweit einheitlich geltende Maßnahmen wären sehr sinnvoll, da hiermit der ungeheuren Rechtszersplitterung auf Länder- und kommunaler Ebene, Behördenwillkür oder auch der Überforderung einzelner Behördenmitarbeiter Einhalt geboten wird. Dies auch vor dem Hintergrund, dass das bestehende ProstG auf Länderebene kaum umgesetzt wurde, und daraus viele der aktuell auftretenden Probleme resultieren.
Auch die übergeordneten Inhalte tragen wir gerne mit, denn auch wir sprechen uns gegen Gewalt, Menschenhandel und Kriminalität aus:

„Deshalb müssen weitere gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, um die in der Prostitution Tätigen besser zu schützen, ihr Selbstbestimmungsrecht zu stärken und um Kriminalität in der Prostitution wie Menschenhandel, Gewalt gegen und Ausbeutung von Prostituierten und Zuhälterei zu bekämpfen..“

Sobald wir aber die konkreten Inhalte betrachten, erscheinen uns diese Worte leider als Lippenbekenntnisse. Denn es geht offenbar nicht darum, die einzelne Sexarbeiter_in zu „schützen“. Vielmehr scheint es darum zu gehen, diskriminierende polizeiliche
Kontrollmaßnahmen zu legitimieren und die Wählerschaft vor dem gefühlten Elend unserer Branche zu schützen. Dies führt allerdings nicht zur Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Sexarbeitsbranche, sondern vielmehr zu für uns schädlichen
Prostitutionseindämmungsmaßnahmen.
Wir möchten hier unsere Bedenken zu den einzelnen Punkten wiedergeben und konstruktive Lösungsansätze unsererseits aufzeigen.

 

Anzeige/Anmeldepflicht für Prostituierte

„Für Prostituierte soll eine Anmelde/Anzeigepflicht (jeweils bei Aufnahme der gewerbsmäßigen Prostitution in einer Kommune) eingeführt werden. Für Prostituierte, die sich bei der zuständigen Behörde angemeldet haben, wird ein
Nachweisdokument eingeführt, das z.B. gegenüber Bordellbetreibenden, Behörden und ggfs. gegenüber Kunden vorgelegt werden kann.“

Zum besseren Verständnis wiederholen wir noch einmal das oberste Ziel des Gesetzes:

„Das Gesetz verfolgt die Ziele das Selbstbestimmungsrecht von Menschen in der Prostitution zu stärken“

Die Registrierung einer so hoch stigmatisierten und häufig mehrfach diskriminierten Gruppe ist unzumutbar. Sie stellt ein Risiko für die betroffenen Personen dar und erschwert einen „normalen“ Alltag in unserer Gesellschaft.

Laut Aussagen einiger Politiker soll diese Maßnahme das Auffinden von Menschenhandelsopfern erleichtern. Unser Berufsverband fragt sich, wie dies in Zusammenhang steht, denn gerade Menschenhändler und andere Ausbeuter würden garantiert als erstes ihren Opfern Ausweise besorgen oder sie dazu anhalten, um nicht weiter behelligt zu werden. Die Erfahrungen der Betreuer des Notruftelefons von sexworker.at mit Wiener Sexarbeiter_innen bestätigen das: Fast alle Sexworker, die im Zusammenhang mit Menschenhandel und organisierter Kriminalität Hilfe gesucht haben, waren registriert. Und da die Polizei fast nur noch Ausweise kontrolliert, statt Gespräche zu suchen, und die Sexarbeiter_innen die Behörden primär als drangsalierendes Kontrollorgan wahrnehmen, sind Menschenhandelsopfer sogar noch schwerer aufzufinden.

Die deutsche Polizei betont immer wieder, dass das Hauptproblem die mangelnde Aussagebereitschaft der Betroffenen sei, die den Behörden gegenüber selbst auf Nachfrage behaupten, sie seien selbstbestimmt tätig. Was genau soll daran eine Registrierung ändern? Künstlich und sinnlos illegalisiert würden stattdessen in erster Linie diejenigen Kolleg_innen, die sich ein Outing nicht leisten können.
Besonders problematisch ist eine Meldepflicht für alle Kolleg_innen, die nicht nur zeitweise hier arbeiten, sondern ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Die Registrierung wäre eine Katastrophe für

  • alleinerziehende Mütter, die fürchten, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren
  • Student_innen, die um ihre Karriere nach dem Studium bangen
  • Nebenerwebs-Sexarbeiter_innen, die noch einen „bürgerlichen“ Hauptjob haben
  • Kurzzeit-Sexarbeiter_innen, die diese Tätigkeit nur zur Überbrückung eines finanziellen Engpasses nutzen und sich den Umstieg in eine andere Erwerbstätigkeit nicht erschweren wollen
  • Migrant_innen, die in Deutschland Fuß gefasst haben und sich mittelfristig hier etwas aufbauen wollen

Absolut unhaltbar ist auch die Idee, eine Sexarbeiter_in müsse sich dem Kunden gegenüber ausweisen. Wozu? Wie oben schon erwähnt, ist eine Registrierung als Kriterium für die Abwesenheit von Ausbeutung oder Gewalt und damit für ein ruhiges
Gewissen des Kunden völlig ungeeignet. Ein auf den Realnamen der Sexarbeiter_in lautendes Dokument würde Stalkern Tür und Tor öffnen. Aus Wien wird uns berichtet, dass dort Kunden eine Nicht-Registrierung als Druckmittel verwenden, um ungeschützten
Verkehr oder anderweitige Serviceausweitung zu erpressen.

„Den berechtigten Interessen des Persönlichkeits und Datenschutzes der zur Anmeldung Verpflichteten wird bei der gesetzlichen Ausgestaltung Rechnung getragen.“

Der Berufsverband hegt massive, sehr berechtige Zweifel an dem Schutz dieser Daten.
Die Vertraulichkeit unserer Daten wird bereits von der Polizei in Bayern und Baden-Württemberg „geschützt“, die tatsächlich Bewegungsprofile der dort schon jetzt ohne Rechtsgrundlage flächendeckend registrierten Sexarbeiter_innen erstellt. Kolleginnen
berichten, dass sie bei Ausweiskontrollen im Straßenverkehr im Beisein Dritter auf ihren Beruf angesprochen wurden, obwohl diese Angabe eigentlich nicht in der abgefragten Datenbank hätte auftauchen dürfen.
In kleinen Gemeinden erfahren Eltern von der Nebentätigkeit ihrer Tochter, weil der Nachbarssohn bei der Polizei arbeitet. Auch werden die Daten von ehemaligen Sexarbeiter_innen nicht gelöscht, obwohl die Polizei dazu verpflichtet wäre. In München
werden bei polizeilichen Routinekontrollen in Bordellen Fotos von Prostituierten gemacht und abgespeichert, obwohl es sich dabei um eine erkennungsdienstliche Erfassung handelt, die in einem solchen Fall nicht gestattet ist.
Wer schützt uns vor den Beschützern?
Das Stigma bleibt an uns haften. Eine Hurenkartei ist kein Schutz, sondern eine eindeutige Verletzung unserer Persönlichkeitsrechte!
Um Sexarbeiter_innen vor diesen Risiken zu schützen, fordern wir stattdessen im Gegenteil die Löschung der vorhandenen Hurenkarteien der Polizei, und zwar bundesweit, eine Aufnahme ins AGG (Verbot von Diskriminierung aufgrund der Berufswahl) und die Genehmigung der Eintragung von Pseudonymen in den Personalausweis.  Menschen, die aufgrund ihrer Tätigkeit in der Sexarbeit oder in anderen Berufen von öffentlichen oder privaten Einrichtungen und Dienstleistern oder auch von zukünftigen Arbeitgebern diskriminiert werden, sollten kompetente Beratung und rechtliche Unterstützung in Anspruch nehmen können.

„Deshalb müssen weitere gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, um die in der Prostitution Tätigen besser zu schützen“

Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem unsere Kinder im Kindergarten erzählen können, „Meine Mutter ist Sexarbeiterin“, ohne ein Wimpernzucken zu ernten, finden viele von uns den besten Schutz in der Anonymität. Auch wir wünschen uns kaum etwas mehr als eine Gesellschaft, in der das nicht nötig wäre. Es liegt in Ihrer Hand, uns dabei zu unterstützen statt uns wider besseres Wissen zu schaden.
Eine ähnliche Diskussion um eine Meldepflicht gab es im Zusammenhang mit dem Aufkommen von AIDS und der damit vermuteten Massen-Epidemie. Die Registrierung von Erkrankten wurde damals nicht durchgeführt, weil Prävention und Aufklärung wesentlich
wirkungsvoller erschien, wenn die Betroffenen nicht öffentlich stigmatisiert und geoutet werden. Da Deutschland eine der niedrigsten AIDS-Infektionsraten der Welt aufweist, ist dieses Konzept durchaus wegweisend auch im Bezug auf eine Registrierung in der Sexarbeitsbranche.
Verpflichtend sollte derzeit, wie bisher, für selbstständige Sexarbeiter_innen nur die Anmeldung beim Finanzamt, d. h. der Nachweis einer Steuernummer, und für Angestellte die Anmeldung bei Krankenkasse und Rentenversicherung über den Arbeitgeber, d. h. der Nachweis einer Sozialversicherungsnummer sein.

Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten und andere Angebote sexueller Dienstleistungen

Auch wenn inzwischen immerhin einige längst überfällige Begriffsdefinitionen zumindest vorläufig vorgenommen wurden für die Bereiche

 

  • Erscheinungsformen der Prostitution
  • Prostitutionsstätten
  • Prostitutionsvermittlung
  • Prostitutionsveranstaltungen

und auch Stellung genommen wurde zu den Punkten

 

  • Übergangsregelungen für bestehende Prostitutionsstätten
  • Erlaubnispflicht gilt nicht für die selbstständige Sexarbeiter_in
  • Ausnahme für Wohnungsprostitution durch Wohnungsinhaberin

können wir einer Bordellkonzessionierung unter dem Gesichtspunkt einer Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen nach wie vor nicht zustimmen.

Unsere Kritikpunkte im Einzelnen:
a) fehlende Arbeitsstandards
Aktuell gibt es noch keine offiziellen Arbeitsstandards für unsere Branche. Solange keine Mindeststandards und Arbeitsschutzrichtlinien gemeinsam mit uns erarbeitet wurden, ist es unmöglich, Auflagen für Bordellbetriebe zu definieren, die dem angeblichen Sinn und Nutzen des geplanten Gesetzes dienen: dem Schutz der Sexarbeiter_innen. Solange aber nicht festgelegt ist, wie eine Prostitutionsstätte beschaffen sein muss und welche Auflagen für die dortigen Arbeitsplätze sinnvoll und praktikabel sind, fürchtet unser Berufsverband, dass eine Erlaubnispflicht mit wenig bis gar nicht an die Branche angepassten Auflagen verbunden sein und somit zu vielen unnötigen Bordellschließungen führen wird. Eine deutliche Warnung ist uns die neue Gesetzgebung in Wien, wo nach erfolgter Konzessionierung nur noch ein Bruchteil der Bordelle erhalten blieben. Und das obwohl in vielen nach den neuen Richtlinie nicht genehmigten Betriebsstätten sehr gute Arbeitsbedienungen herrschten. Sie scheiterten an den nicht an die Branche angepassten Auflagen.
In den Niederlanden hat die Konzessionierung zu vielen Bordellschließungen geführt, weil dort Menschenhandel vermutet wurde. Wohlgemerkt, es handelte sich um Vermutungen, die so gut wie nie nachgewiesen werden konnten. Die Lizenzen wurden allerdings nicht neu vergeben, sondern die Zahl der Bordelle reduzierte sich, und die verbliebenen haben nun Monopolstellung und nehmen Wuchermieten. Auch in den Niederlanden war die Regulierung gut gemeint und führte zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.
Ähnliches ist aus Zürich zu berichten. Dies begründet unsere Sorge vor einem übereilten Regelungswahn.

 

Dass differenziertere und nach Betriebsarten abgestufte Vorgaben für diese Mindestanforderungen sowie weitere Durchführungsvorschriften dann den Ländern überlassen werden sollen, halten wir für äußerst bedenklich, denn schon jetzt gibt es kaum eine Behörde, die prostitutionsfreundliche Entscheidungen trifft. Selbst berechtigte Anfragen werden unseren Erfahrungen nach in der Regel zunächst abgewiesen – nicht immer nur, weil Beamte prostitutionsfeindlich, sondern häufig auch, weil sie schlicht
verunsichert sind und nicht für eine Bordelleröffnung verantwortlich gemacht werden wollen.

 

b) Schutz der Nachbarn
Bedenklich erscheint uns auch die Forderung, welche die Anwohnerschaft betreffen:

„Die Erlaubnis kann, auch nachträglich, mit Auflagen zum Schutz der Prostituierten, der Beschäftigten und Dritter sowie zum Schutz der Jugend und der Anwohnerschaft verknüpft werden.“

Worum geht es bei dieser Art von Schutz? Wie soll ein unternehmerisches Risiko kalkuliert werden, wenn man keine verbindlichen Regelungen hat und die existierenden rückwirkend geändert oder aufgehoben werden können? Rechtssicherheit und Schutz für in der Sexarbeit Tätige ist das nicht. Besonders im Bereich Wohnungsprostitution gehen wir davon aus, dass moralische Bedenken von Nachbarn schnell zu unverhältnismäßigen oder nicht umsetzbaren Auflagen für die in ihrer Wohnung arbeitende Sexarbeiterin führen.

c) Baurechtliche Regelungen
Selbstverständlich sollten auch für Bordelle baurechtliche Regelungen gelten, wie für jeden anderen Betrieb auch. Kleinere Prostitutionsstätten, die eindeutig dem stillen Gewerbe zuzuordnen sind, sollten jedoch auch in Mischgebieten zugelassen werden, was im allgemeinen nicht der Fall ist. Laut stadtplanungsrechtlicher Gebietsausweisungen ist es in einzelnen Gemeinden aktuell so gut wie unmöglich, eine Prostitutionsstätte zu eröffnen. Der zunehmenden Praxis, in Bebauungsplänen selbst in Kern- und
Gewerbegebieten Sexarbeit grundsätzlich auszuschließen, muss ebenfalls dringend ein Riegel vorgeschoben werden. Die Problematik fehlender legal nutzbarer Räumlichkeiten ist gerade für Frauen, die sich mit einer Kollegin ein Apartment teilen oder sich mit kleinen Wohnungsbordellen selbstständig machen wollen und ein gutes und familiäres Betriebsklima bieten, ein großes Problem. Wir erinnern dabei an die Hauptforderung des Gesetzesvorhabens:

„Das Gesetz verfolgt das Ziel das Selbstbestimmungsrecht von Menschen in der Prostitution zu stärken“

d) Betreiber als Kontrolleur für Meldepflicht der Sexarbeiter_innen
Zu den Pflichten des Betreibenden soll gemäß Eckpunktepapier auch folgendes gehören:

„Mitteilung über die als Prostituierte im Betrieb tätigen Personen (An- und Abmeldung) Überprüfung der erfolgten Anzeige der Aufnahme der Tätigkeit durch die Prostituierten.“

Ein solches Verfahren findet sich in keiner anderen Branche. Ein Taxiunternehmer kann nicht dafür haftbar gemacht werden, sollte einer seiner Fahrer keinen gültigen Führerschein haben. Und das obwohl der Taxiunternehmer in der Regel den Fahrer angestellt beschäftigt und der Bordellinhaber nur Vermieter ist. Den Betreibenden zum verlängerten Arm der Kontrollbehörde zu machen, erscheint uns fragwürdig und würde seine Machtposition den Mieterinnen gegenüber ausweiten.

e) Pauschales Verbot bestimmter Praktiken und Abrechnungsmodelle

„Betriebskonzepte der Prostitution, die aufgrund ihrer Ausgestaltung die Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmung oder der Gesundheit von Prostituierten oder anderen Personen befürchten lassen, oder deren Konzept erkennbar einer Ausbeutung von Prostituierten Vorschub leistet, werden gesetzlich verboten. Für entsprechende Prostitutionsbetriebe bzw. Prostitutionsveranstaltungen kann keine Erlaubnis erteilt werden bzw. sie sind bei Bekanntwerden zu untersagen. Dies gilt z.B. für Flatratebordelle und Rape‐Gang‐Bang‐Partys.“

Pauschale Verurteilungen von Betriebskonzepten, die von einem Teil der Kolleginnen nun einmal explizit bevorzugt werden, zeugen leider von wenig Einblick in die Materie – genau das ist ein Beispiel für die Art von Auflagen, die wir bei einer übereilten Regulierungswut befürchten. Auch in Pauschal-Clubs und bei Gruppensex-Partys („Rape-Gang-Bang“ ist keine branchenübliche Bezeichnung, und was damit im Zusammenhang mit sexuellen Dienstleistungen gemeint sein soll, entzieht sich unserer Kenntnis) gibt es gute und schlechte Arbeitsbedingungen, faire und ausbeuterische Abrechnungsmodelle. Diese Details müssen zusammen mit den in solchen Betrieben arbeitenden Menschen erörtert werden. Alles andere führt zu populistischer Symbolpolitik, die lediglich die Wahlfreiheit der angeblich zu Schützenden einschränkt! einschränkt!

Alternativen und unsere Vorschläge:

Eine Branche, die bisher außerhalb des Gewerberechts reguliert wurde, von einem Extrem in das andere zu führen, halten wir für übereilt und gefährlich. Wir sprechen uns für eine Anzeigepflicht des Betriebs von Prostitutionsstätten nach § 14 GewO aus, jedoch gegen eine Erlaubnis- oder Überwachungspflicht. Gewerbeämter, die auf dem Stand der „Gewerblichen Zimmervermietung“ von vor 2002 stehen geblieben sind und sich bis heute weigern, Gewerbeanzeigen von Bordellen anzunehmen, sollten dazu verpflichtet werden.
Bei einer Anzeigepflicht greift das Gewerberecht und es ist somit selbstverständlich auch möglich, einem einschlägig vorbestraften Menschen als „unzuverlässig“ den Betrieb eines Bordells zu untersagen. Dort, wo bereits Gewerbeanmeldungen von Bordellen
entgegengenommen werden, ist das heute schon machbar. Für eine Konzessionierung ist das also kein Argument.
Vor dem Hintergrund der Komplexität und Verschiedenheit der einzelnen Arbeitsplätze und Arbeitsfelder in der Sexarbeitsbranche sollte für die differenzierte Erstellung von Arbeitsstandards eine mit konkreten Ziel- und Zeitvorgaben versehene AG gegründet werden. Die faire Beteiligung von Betreibern und Sexarbeitern, aber auch Gesundheitsämtern und Beratungsstellen in dieser AG wäre obligat. Ihre Ergebnisse sollten die Grundlage für rechtliche Arbeitsschutzrichtlinien sein.

 

Mittelfristig sollte die Festlegung von Arbeits- und Qualitätsstandards selbstverwaltend durch berufsständische Vertretungen wie Berufsverbände, Gewerkschaften oder Kammern formuliert werden. Zu diesem Zweck sollte die Bildung berufsständischer
Selbstverwaltungen dringend staatlich gefördert werden.

Verbot der Werbung für ungeschützten Geschlechtsverkehr; sonstige Werbebeschränkungen

Hier teilt unser Berufsverband die Vorhaben der Koalition.
Allerdings weisen wir darauf hin, dass dass nach Ordnungswidrigkeitengesetz noch immer ein allgemeines Werbeverbot für Prostitution gilt. Deshalb fordern wir im § 119 OwiG („grob anstößige und belästigende Handlungen“) die Streichung des Teils „und
belästigende“ sowie die ersatzlose Streichung des § 120 OwiG („Verbotene Ausübung der Prostitution, Werbeverbot für Prostitution“). Mit dem Inkrafttreten des ProstG sind die Ausübung der Prostitution und die damit in Zusammenhang stehenden Rechtsgeschäfte nicht mehr als schlechthin sittenwidrig anzusehen.

Behördliche Nachschau und Überwachung, Befugnisse der Behörden

„Die Erlaubnispflicht und die daran anknüpfenden Voraussetzungen und Rechtsfolgen sollen nach dem Muster anderer gewerberechtlicher Erlaubnispflichten ausgestaltet werden.“

In anderen Gewerben, an die sich sich ja anlehnen, ist für die erwähnte Auskunft- und Nachschaurecht laut §29 der GewO, nicht die Polizei zuständig. Zuständig sind zumeist das Gewerbe-/Ordnungsämter der unteren Verwaltungsbehörde.

Rechtsverhältnis zwischen Prostituierten und Betreibenden

„Grundsätzlich soll es weiterhin möglich sein, die Prostitution sowohl in Form einer selbständigen Erwerbstätigkeit als auch im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auszuüben. Weisungen, die in die sexuelle
Selbstbestimmung der Prostituierten eingreifen oder diese gefährden, bleiben unzulässig. “

Der Berufsverband begrüßt das, denn das ist auch eine unserer Forderungen.

„Gleichwohl besteht faktisch nicht selten eine weitgehende Eingliederung von Prostituierten in die von der Betreiberseite vorgegebenen betrieblichen Abläufe. In solchen Fällen dürfte eine Scheinselbständigkeit vorliegen. Bordellbetreibende sollen
dann auch weiterhin ggf. nach § 266a StGB (Vorenthalten/Veruntreuen von Arbeitsentgelt) wegen unterlassener Beitragszahlungen zur Verantwortung gezogen werden können.“

Selbst führende Experten sagen, dass wir uns von der Vorstellung von Anstellungsverhältnissen in der Sexarbeitsbranche verabschieden müssen. Die Sexarbeiter_innen selber wünschen dies nicht, da sie frei entscheiden wollen, wann, wo und mit wem sie arbeiten. Für Betreiber ist das Eingehen von Angestelltenverhältnissen auf Grund des eingeschränkten Weisungsrechts laut §3 des ProstG so gut wie unmöglich.
Der Berufsverband fordert daher für die selbstständig ausgeübte Sexarbeit die
Anerkennung als freier Beruf.
Der Berufsverband möchte weiterhin darauf hinweisen, dass die Drangsalierung von Bordellbetreibenden auf Grund von vermuteter Scheinselbstständigkeit der dort Tätigen kontraproduktiv ist. Es führt nicht zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wenn z.B. wie in München das Bereitstellen von Kondomen als Zeichen für Anstellungsverhältnisse gesehen wird. Trotz dort vorherrschender Kondompflicht stellt natürlich kein Betreiber mehr solche Utensilien zur Verfügung. In den dortigen Domina-Studios muss mittlerweile sämtliche Ausrüstung außer den Möbeln von der Mieterin mitgebracht werden, zu Kosten
von über 1000 Euro. Das nur, damit keine Scheinselbstständigkeit vermutet werden kann. Die Arbeitsbedingungen der Mieter_innen haben sich indes sehr verschlechtert.
Nach unserer Ansicht liegt Scheinselbstständigkeit nicht vor, wenn neben der reinen Vermietung auch Arbeitsmaterialien, Infrastruktur und Werbung zur Verbesserung der Auftragslage für den/die einzelne Mieter_in zur Verfügung gestellt werden. Auch wenn eine gewisse Eingliederung in die Betriebsabläufe vorliegt, muss Selbständigkeit angenommen werden. Dies betrifft z.B. die „verbindliche“ Einteilung in einen Tages- oder Wochenplan. Wir weisen darauf hin, dass sexarbeitende Personen keine Kündigungsfirst und keine Anwesenheitspflicht haben. Sie können trotz Wochenplan jederzeit ohne Ankündigung dem Betrieb fernbleiben oder von heute auf morgen die Arbeitsstätte wechseln. Beides ist an der Tagesordnung, als Option von den meisten Sexarbeiter_innen so gewünscht und vor allem mit den Gepflogenheiten eines Angestelltenverhältnisses völlig unvereinbar.
Personen, die Sexdienstleistungen in Selbstständigkeit anbieten, sollten keiner Anzeigepflicht oder gewerberechtlichen Regulierung unterliegen, der Nachweis einer Steuernummer muss ausreichen.

Kommunale Gestaltungs- und Steuerungsinstrumente

„Die auf der Grundlage von Sperrbezirksverordnungen nach Art. 297 EGStGB sowie nach Maßgabe der Baunutzungs‐ und Bauplanungsrechts bestehenden Möglichkeiten der kommunalen Ebene zur örtlichen Steuerung und Ausgestaltung der Bereiche, in denen Prostitution zugelassen ist, bleiben unberührt.“

Art. 297 EGStGB erlaubt es den Ländern und Landesbehörden derzeit, sogenannte Sperrbezirksverordnungen zu erlassen. Diese verbieten die freie Ausübung der Prostitution in bestimmten Gebieten, zu bestimmten Tageszeiten oder in bestimmten
Ausprägungsformen. Sie bedeuten ein faktisches Berufsverbot in kleinen Gemeinden und in großen Teilen größerer Städte. 98% der Fläche von Baden-Würtemberg sind Sperrbezirk, sowie nahezu das komplette Stadtgebiet von München für jede Art von
Sexarbeit, also sogar für Haus-und Hotelbesuche beim Kunden. Die Polizei überprüft die Einhaltung solcher Verbote mittels Scheinbuchungen.
Im Fall von real auftretenden Konflikten zwischen Sexarbeitenden und anderen Erwerbstätigen oder Anwohnern fordern wir eine Einschränkung der Sexarbeit nur im gleichen Maße, wie sie auch bei Angehörigen anderer Berufe praktiziert wird. Flächendeckende Berufsverbote wie die Sperrbezirke oder die grundsätzliche Einordnung auch kleiner, diskret betriebener Wohnungsbordelle als störendes Gewerbe nach dem Baurecht sind im Rahmen einer legalen Anerkennung der Sexarbeit nicht hinnehmbar.

Durch Sperrbezirksverordnungen werden die freie Wahl des Berufes und des Arbeitsplatzes gemäß Artikel 12 GG eingeschränkt. Durch Sperrbezirke wird die Sexarbeit oft abgedrängt in abgelegene Gebiete, die gefährliche und menschenunwürdige
Arbeitsbedingungen bieten. Dadurch erhöhen sich die Gefahr krimineller Übergriffe auf Sexarbeiter_innen und der Bedarf an Aufpassern und Beschützern. Weiterhin kommt es zu einer künstlichen Verknappung der Arbeitsmöglichkeiten und zur Monopolisierung, was Wuchermieten Tür und Tor öffnet und den Konkurrenzdruck unter den Kolleg_innen erhöht.

Noch strittig sind in der Koalition offenbar folgende Themen:

Mindestalter für eine Tätigkeit in der Prostitution

Diskutiert wird über eine Anhebung der Altersgrenze von 18 auf 21 Jahren. Es gibt jedoch auch in der Politik sehr kritische Stimmen zu diesem Vorhaben. Diese möchten wir mit unseren Hinweisen stärken.
Die gut gemeinten Ansätze junge Personen schützen zu wollen gehen an der Lebenswirklichkeit in der Sexarbeitsbranche vorbei. Ein Verbot würde hier so gut wie keine abschreckende Wirkung haben. Junge Erwachsene mit einem dringenden Verdienstbedürfnis werden mit dem Einstieg in die Sexarbeit nicht bis zum 21. Lebensjahr warten.
Genau diesen lebensunerfahrenen Menschen bliebe der Zugang zu sicheren Arbeitsplätzen, an denen sie sich ggf. auch mit erfahreneren Kolleg_innen austauschen können, um von ihnen zu lernen, verwehrt. Kein Bordell oder Escort-Service würde sie
noch aufnehmen. Sie würden der Kriminalität anheimgegeben und wären gezwungen, an Orten zu arbeiten, an denen sie Gefahren schutzlos ausgeliefert sind. Ihr illegaler Status würde es ihnen außerdem unmöglich machen, sich gegen Unrecht zur Wehr zu setzen.

Die im § 232 Abs.1 Satz 2 StGB formulierte Altersgrenze von 21 Jahren führt bereits jetzt dazu, dass ein nicht geringer Teil der Betroffenen von Menschenhandel in der BRD selbst deutsche Staatsbürger sind. Sie werden nur deshalb als „Opfer“ geführt, weil sie zwischen 18 und 21 Jahren alt sind, ohne dass irgendeine Form von Ausbeutung oder Gewalt vorliegen muss.
Eine rechtliche Gleichbehandlung mit anderen Berufen, auch in Hinblick auf Schutzaltergrenzen, ist das beste Mittel, um die Entstigmatisierung der Sexarbeit voranzutreiben.

Bei Tätigkeiten, die erst ab 21 Jahren zulässig sind (z.B. Busfahren, Taxifahren) geht es darum, andere Menschen vor der Unerfahrenheit der Berufseinsteiger zu schützen. Es gibt kein Beispiel, wo durch eine solche Regelung Menschen vor sich selbst geschützt werden, wie es für die Prostitution angedacht ist. Selbst die Entscheidung, Dienst an der Waffe zu leisten, wird Siebzehnjährigen zugestanden!

Verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen für Prostituierte

Genau wie die Fachöffentlichkeit – allen voran die Deutsche AIDS-Hilfe, die Deutsche STIGesellschaft und die Gesundheitsämter – lehnen wir Pflichtuntersuchungen ab. Zur Prävention haben sich ausschließlich Aufklärung und Förderung der Eigenverantwortlichkeit als wirksam erwiesen. Zwangskontrollen (womöglich wie früher mittels polizeilicher Vorführung beim Gesundheitsamt) halten wir für kontraproduktiv.
Mit Stolz weist die Deutsche AIDS-Hilfe darauf hin, dass Deutschland im EU-Vergleich eine der niedrigsten Infektionsraten an Geschlechtskrankheiten hat, was eindeutig auf deren sehr gute präventive Arbeit zurückzuführen ist. Insbesondere konnten bei
Untersuchungen von Sexarbeiter_innen keine wesentlich erhöhten Infektionsraten nachgewiesen werden. Demnach stellen diese keine Risikogruppe dar. Prävention statt Zwang hat sich bewährt.
Wir fordern daher, bundesweit in jeder größeren Stadt die Möglichkeit zur anonymen und kostenlosen Gesundheitsvorsorge durch die Gesundheitsämter zu schaffen. Das Personal sollte dabei Sexarbeit als Berufswahl akzeptieren. Entsprechende Angebote, die von den Kolleg_innen genutzt und geschätzt werden, gibt es bereits bei Gesundheitsämtern in Köln, Dresden, Berlin, Hamburg und einigen weiteren Städten.

Kondompflicht

Eine Kondompflicht halten wir für wenig hilfreich und schließen uns hierbei der gleichlautenden Empfehlung der Deutschen AIDS-Hilfe an. Prävention durch Aufklärung, wie sie bereits im IfSG formuliert ist, ziehen wir der Prävention durch Zwang vor, weil wir
sie für effektiver und nachhaltiger halten. Eine Kondompflicht würde hingegen zu einer Kriminalisierung eben der Kolleg_innen führen, die aufgrund mangelnder Information oder prekärer finanzieller Lage dazu bereit sind, für einen höheren Verdienst auf Kondome zu verzichten. Sinnvoller ist es, diese Kolleg_innen aufzuklären und ihr Selbstbewusstsein zu stärken, damit sie ihre Interessen an geschütztem Verkehr auch gegen hartnäckige Nachfragen durchsetzen können. Dafür brauchen wir eine starke Präventionsarbeit vor Ort durch den oben schon erwähnten Ausbau der Angebote der Gesundheitsämter und Unterstützung und Aufbau von Peer-to-Peer-Projekten, im Rahmen derer Sexarbeiter_innen Kolleg_innen beraten und professionalisieren. Ein erwähnenswertes Beispiel ist das Peer-Projekt von Hydra in Berlin.

Ein großes Problem sehen wir auch in der Kontrollierbarkeit einer Kondompflicht. Die Nachfrage nach ungeschütztem Verkehr besteht nicht auf Seiten der Sexarbeiter_innen, sondern kommt von den Kund_innen, die die eigentlich zu kontrollierende Gruppe wären. Im Land Bayern, wo seit 13 Jahren eine Kondompflicht besteht, werden hingegen Polizisten als Scheinfreier in die Bordelle geschickt. Diese Scheinfreier bedrängen die Kolleg_innen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mit Nachfragen nach ungeschütztem Verkehr. Willigen diese dann ein, gelten sie als überführt, noch bevor irgendeine Form von Verkehr überhaupt stattgefunden hat. Weiterhin stürmt die Polizei auch Arbeitszimmer im laufenden Betrieb, um die Kondomverordnung zu  überprüfen. Kontrolliert, verfolgt und bestraft werden in Bayern die Sexarbeiter_innen, nicht die Kund_innen, die für ungeschützten Verkehr bezahlen.

Im Übrigen finden wir keine Hinweise darauf, dass diese Verordnung in Bayern positive Auswirkungen auf die Gesundheit der in der Sexarbeit Tätigen oder der Gesamtbevölkerung hat.

Fazit

Einige der Probleme, die wir in unserer Branche haben, sind nicht auf die Sexarbeit beschränkt und auch nicht im Rahmen eines „Prostitutiertenschutzgesetzes“ zu lösen. Kein Bundesgesetz schützt vor einem innereuropäischen Wohlstandsgefälle. Armut lässt
sich nicht verbieten. Aber es lassen sich mit Bedacht und gutem Willen durchaus Rahmenbedingungen schaffen, die die Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Sexarbeiter_innen entscheidend verbessern können.
Die von uns geforderte vollständige Entkriminalisierung und legale Anerkennung der Sexarbeit bedeutet nicht die Abwesenheit von Maßnahmen zum Schutz vor arbeitsbedingten Sicherheits- und Gesundheitsgefährdungen, wie sie auch in anderen Branchen
umgesetzt werden – sofern diese nicht als Vorwand zur Prostitutionsverhinderung missbraucht werden. Arbeitsschutz unterscheidet sich von den vorliegenden Eckpunkten zur einer Branchenregulierung, die unter dem Vorwand des „Schutzes“ eine staatliche, polizeiliche Kontrolle und Eindämmung von Sexarbeit zum Ziel hat.
Den besten Schutz finden Sexarbeiter_innen in einer Normalisierung unserer Branche. In einer vollständigen Entkriminalisierung, insbesondere dem Streichen diskriminierender Sonderparagraphen im Straf- und Ordnungswidrigkeitengesetz. In konsequenten Antidiskriminierungsmaßnahmen.  In Empowerment und Professionalisierung. In vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Behörden, deren Mitarbeiter dazu ermutigt werden, sich unserer Belange sachlich anzunehmen. In gemeinsam mit Sexarbeiter_innen entwickelten Arbeitsschutzrichtlinien. Und in der Abwesenheit von Hurenkarteien und Zwangsoutings.
Das Prostitutionsgesetz von 2002 war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, der leider zu zögerlich gegangen wurde. Dieser Weg sollte konsequent weiter verfolgt werden.

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[icon type=“pdf“ style=“full_color“ align=“left“] Eckpunktepapier als PDF

 

Kontakt: www.berufsverband-sexarbeit.de
Pressesprecherin:
Undine de Rivière
undine@berufsverband-sexarbeit.de
01520 – 485 09 09

Politische Sprecherinnen:
Johanna Weber
johanna@berufsverband-sexarbeit.de
0151 – 1751 9771

Fabienne Freymadl
fabienne@berufsverband-sexarbeit.de
0151 − 2329 5646